Mission vollendet
/ Die Welt

Die Nachricht war ein Schock, und sie löste eine Welle an Liebesbotschaften und Respektbekundungen aus: Die Kölner Galerie Delmes & Zander schließt am 30. Oktober. Damit verschwindet einzigartiger Ort, der seit 1988 Künstler vertrat, die anders waren als alles, was man bisher kannte, und für die es teils Jahrzehnte dauerte, um sie auf dem Markt und in den Museen zu etablieren. Das Fehlen dieser Ausnahmegalerie wird ein Loch in die Kunstlandschaft reißen – nicht nur in Köln und Deutschland, sondern weltweit standen Delmes & Zander für den anderen, ganz besonderen Blick auf Kunst, die sie mit Qualitätsgespür, Leidenschaft und Integrität vorantrieben. Sie haben die Kunstgeschichte geändert wie keine andere Galerie.

 

Etikettiert wird ihre Kunst heute gemeinhin als „Outsider Art“: Ein Begriff, der nie im Sinne der Galeristinnen Nicole Delmes und Susanne Zander war. Im Gegenteil. Ihr Ziel war es, Künstler wie Horst Ademeit, Adelhyd van Bender und Morton Bartlett in die Mitte des Kunstgeschehens zu holen – lange bevor der Superkurator Massimiliano Gioni auf der 55. Biennale von Venedig 2013 im großen Stil zeigte, wie Kunst von Menschen aussieht, die weder Preise noch Trends noch Sammler im Kopf haben, sondern lediglich ihren ureigenen, alles umfassenden Kosmos. Zwei Jahre zuvor hatte Udo Kittelmann im Hamburger Bahnhof mit der Ausstellungsreihe „Secret Universe“ erstmals museale Schritte in diese Richtung gemacht, hatte die Fotos der sexualisierten selbstgebauten Puppen Morton Bartletts gezeigt und die filigran bekritzelten Polaroids Horst Ademeits, der in Düsseldorf-Flingern Kältestrahlen jagte – ohne Delmes & Zander wäre das nicht möglich gewesen. Und so würde man überhaupt die „Kunst von Geisteskranken“, wie es früher auch gerne hieß, noch immer mit kindlich anmutender Figurenmalerei assoziieren, hätte Susanne Zander dem nicht von Beginn an etwas entgegengesetzt, das wie Konzeptkunst aussieht: Fotos, Zeichnungen, Schemata, die eine unabdingbare Grundidee belegen. Der traumartig-bunten „Naiven Malerei“ dagegen hatte sich einst ihre Mutter Charlotte Zander verschrieben, die sie in ihrer Galerie in München zeigte und eine große Sammlung generierte, mit Arbeiten von Henri Rousseau oder Séraphine Louis. Die Tochter interessierte sich von Kindesbeinen an dafür – aber sie wollte mehr.

 

„In der Naiven Kunst wird oft das dargestellt, was andere Künstler auch machen. Sie ist ein Versuch, naturalistisch zu arbeiten“, erzählte Zander mir einmal im Interview für das Kunstmagazin BLAU. „Mich aber hat das interessiert, was weitergeht, wo sich Universen öffnen, wo es nicht mehr um Darstellung der Realität geht, sondern um etwas anderes. Dieses Grenzenlose, Unangepasste, Unvergleichbare hat mich gefesselt.“ Wie sehr, das hat Susanne Zander, ab 2005 gemeinsam mit Nicole Delmes, immer auf unglaublich leidenschaftliche, kenntnisreiche und wunderbar anschauliche Weise vermittelt. Ihre Begeisterung zog anfangs vor allem Künstler als Kunden an. Sie verstanden viel früher als klassische Sammler, welche Kraft in Arbeiten liegt, deren Obsessionen und eigentümliche Theorien einen regelrecht aufsaugen. Und die manchmal gar nicht wie Kunst aussehen: „Margret: Chronik einer Affäre“ war 2015 eine Zusammenstellung von Briefen, Fundstücken und Fotos in Vitrinen, die auf seltsam distanzierte, tagebuchartige Weise die Liebschaft eines Geschäftsmannes mit seiner Sekretärin nachzeichnete. Oder 2019 die grandiose Ausstellung einer Privatsammlung mit Fotos und Zeichnungen von UFOs und paranormalen Phänomenen. Eine der letzten Entdeckungen der Galerie war der rumänische Künstler Alexandru Chira, dessen gesamtes Werk auf sein regenbringendes Monument in Transsylvanien ausgerichtet war: eine Mischung aus kosmischem Spielplatz und Environment, trotz all der egomanischen Besessenheit ihres Schöpfers unglaublich modern und voller Fantasie.

 

Chira ist nur ein Beispiel, dass sich diese Art von Kunst heute oft sehr gut verkaufen lässt. Die Galeristinnen haben stets haargenau darauf geachtet, bei wem ihre Schützlinge unterkommen, vor allem in Sammlungen jenseits des „Outsider“-Marktes. Aus eben dieser Nische herauszutreten, war von jeher ihr Ziel, weshalb die beiden schon lange an gängigen Kunstmessen wie der Art Basel oder der Independent New York teilnahmen statt an solchen für „Outsider Art“. Und weil ihre Mission erfüllt ist und große Institutionen sich nun mit ihren Künstlern schmücken, zogen die beiden die Konsequenz und machten zu. „Von Beginn an war es unser Anliegen, gute Kunst aus den schlecht ausgeleuchteten Ecken zu holen, in die Künstler aufgrund ihres Eigenseins, ihrer Beeinträchtigungen oder fehlender Hochschulabschlüsse gedankenlos und brachial gedrängt wurden“, heißt es in ihrem Abschluss-Statement. „Auch wenn gesellschaftlicher Fortschritt immer fragil ist, haben sich die Zeiten geändert und wir freuen uns sehr, dass die Werke unserer Künstler*innen heute im zeitgenössischem Kunstkontext angekommen sind.“ Vielleicht war es aber auch der hochtourige Kunstmarkt, der gerade im Eiltempo an Prä-Pandemiezeiten anknüpfen will, der den Galeristinnen nicht immer behagte. Dass Susanne Zander sich nun der Sammlung ihrer Mutter widmen und sie akademisch aufbereiten will, ist da sicher ein glücklicher Schritt. „Darauf habe ich riesige Lust“, sagt sie. „Nicht mehr unter diesem Druck des Kunstmarktes zu arbeiten, fühlt sich nach der Pause und den Belastungen der Corona-Zeit richtig an.“ Einige Künstlernachlässe der Galerie werden die beiden Expertinnen vorerst weiter verwalten, bis sie an andere Galerien vermittelt werden. Und Nicole Delmes wird sich um die Architekturstiftung ihres Vaters und ihres Großvaters kümmern, dem Bauhaus-Architekten Ernst Neufert. Mit Delmes & Zander geht eine Ära zu Ende. Nicht nur die Ära des künstlerischen Außenseitertums, sondern auch die zweier Händlerinnen, für die stets die Kunst und nicht das schnelle Geld zuerst kam, die an Studenten und an die größten Museen der Welt verkauften, die unseren Blick verändert und die Kunstgeschichte umgeschrieben haben.