Deine Frau, das unbekannte Wesen
/ Welt am Sonntag

Franz Erhard Walther ist ein berühmter Künstler. Was niemand weiß: Seine Werke näht seine Exfrau Johanna Walther. Ein Interview mit einem Kunst-Dream-Team

Welt am Sonntag – 1. Dezember 2013

Vor 50 Jahren erfand Franz Erhard Walther den „Anderen Werkbegriff“: Stoffobjekte zum Hineinlegen, Draufstellen und Anfassen. Der Betrachter soll selbst tätig werden mit Kopf und Körper. Was kaum jemand weiß: Genäht werden Walthers Objekte bis heute von seiner Exfrau Johanna. In einer kalten Werkstatt in Ried bei Fulda, woher beide stammen, stapeln sich Stoffbahnen, auf einem Holztisch steht eine uralte Nähmaschine. Heizen? Wozu. Urlaub? Nein danke. Johanna Walther ist der biografische Glücksfall für den Künstler, der gefragter ist denn je – und umgekehrt?

WELT AM SONNTAG: Frau Walther, seit 50 Jahren nähen Sie die Kunst Ihres Exmannes Franz Erhard. Besuchen Sie seine Ausstellungen?

Johanna Walther: Eher nicht.

Warum nicht?

JW: Das hängt mit den Anfängen zusammen. Da hatten wir kein Geld für einen Babysitter. Franz Erhard war unterwegs, ich habe genäht.

Wie haben Sie sich kennengelernt?

JW: Das war 1958 im Jungen Kunstkreis in Fulda. Den hatten wir mitbegründet, ausgehend von einem Volkshochschulkurs.

Franz Erhard Walter: Johanna und ich waren eng befreundet – aber ich weiß nicht, ob klar war, dass wir zusammenbleiben würden.

JW: Na, wir waren so etwas wie ein Liebespaar. Zumindest sind wir uns 1959 nähergekommen.

FEW: Von deiner Seite aus mit groooßer Distanz.

JW: Ich war ja auch erst 15!

FEW: 1963 entdeckte ich dann in der Schneiderwerkstatt deiner Eltern dieses Glanzkissen.

JW: Es gab früher immer nur Wollstoffe. Und um die zu bügeln, brauchte man das. Das Kissen bildete Oberkörper und Taille nach, und man bügelte durch eine feuchte Auflage den Stoff der Mäntel und Anzüge. Es durfte ja möglichst kein Glanz auf die Kleider kommen.

Und warum hat Sie das nun gereizt, Herr Walther?

FEW: Ich suchte damals, als ich bei K.O. Goetz in Düsseldorf studierte, nach einer Technik, die von der Kunstgeschichte noch nicht besetzt war. Bis dahin hatte ich meine Objekte geklebt, fand das aber immer zu nahe an der Collage. Als ich das Glanzkissen sah, hatte ich es: Nähen mit Stoff! Das war wie ein Schlag. Heureka!

JW: Wir haben das Material meinem Vater geklaut. Und du hast in deine Pappschichtungen die Bügeldecken aus Filz eingearbeitet.

FEW: Und Beuys hat seine Witzchen gemacht, bevor er dann selbst mit Filz anfing.

Wieso konnten Sie sich so blind darüber verständigen? Und auch darüber, was das für Ihre Zukunft bedeutete?

FEW: Das war ein biografischer Glücksfall. Johanna konnte meine Gedanken anhand von präzisen Zeichnungen sofort umsetzen.

JW: Ja, ich wollte ja nicht in der Industrie arbeiten. Ich hatte mich gerade in Essen in einer Fabrik als Bekleidungstechnikerin vorgestellt – ein stressiger Beruf. Die Herrschaften dort haben mir das genau ausgemalt: Da durfte man nicht mal Kinder haben. Da habe ich mich bedankt und bin gegangen.

FEW: Und hast gesagt: Dann unterstütze ich lieber deine Arbeit. Wo der Lebensunterhalt herkommen sollte, war uns unklar.

JW: Ich habe Kleider genäht und später in Düsseldorf Änderungen für Modehäuser gemacht.<br>

Sie haben tagsüber Mode und abends Kunst genäht?

JW: Für mich war klar, ich unterstütze seine Arbeit. Darüber brauchten wir gar nicht zu reden.

FEW: Deine Nähwerkstatt war zugleich auch mein Lager und Ausstellungsraum.

Und was haben Sie gemacht, wenn Sie nicht gerade Vorlagen zeichneten?

FEW: Ich habe die Kleider, die Johanna anfertigte, ausgeliefert und mich um die Kinder gekümmert. Die Frauen auf dem Spielplatz bedauerten mich: Der arme Mann! Auch dass ich zu Hause putzte, war für mich keine Frage. Bei den Polkes war das genauso. Sigmar erschien mit seinem kleinen Sohn auch auf dem Spielplatz und erntete Mitleid.

Frau Walther, haben Sie nie gezweifelt, ob Sie das Richtige tun?

JW: Nein. Das war ein Einverständnis zwischen uns. Es ging um seine Arbeit. Nur das war wichtig. Das hatten wir als gemeinsame Ebene.

Das klingt sehr diszipliniert.

JW: Wir sind beide Handwerker- und Kriegskinder, da geht man immer über die Grenzen.

FEW: Wenn Künstler, wie auch Richter oder Polke aus dem Handwerksmilieu kommen, dann arbeiten die. Wer das nicht kennt hat Schwierigkeiten. Ich bin selten ein Bier in der Altstadt trinken gegangen.

Wie sieht die Arbeit im Detail aus?

FEW: Ich fertige genaue Planzeichnungen an mit Abmessungen, wo die Naht sein sollte. Manchmal hat sie gesagt, dass etwas anders gemacht werden müsste, dann haben wir diskutiert. Sie hat manchmal zu technisch und ich habe nur in Formen gedacht. Aber wir haben immer eine Lösung gefunden.

JW: Die Form musste der Funktion entsprechen.

FEW: Ohne dass man einen Gebrauch definieren kann. Den habe ich nie vorgegeben. Ich habe nur Anleitungen zur Hantierung gezeichnet. Aber nicht, was an Vorstellung entsteht. Die habe ich offen gehalten. 

JW: Das war prägend für mich! Als Schneider haben die Dinge ja immer eine Funktion. Für mich war es das reine Glück, so völlig offen mit diesem Handwerkumzugehen!

Frau Walther, haben Sie wirklich das alles ganz allein genäht?

JW: Das meiste schon, ich hatte nur gelegentlich Hilfe von meiner Schwester. Aber die Arbeit war positiv besetzt! Wir haben auch nie Urlaub gemacht. Das gab es bei uns nicht. Auch kein Abschalten. Das war 24-stündig.

Wieso haben Sie nach der Trennung weitergemacht?

JW: Die Arbeit stand separat. Mein Freundeskreis hat gesagt, ich müsse aufhören, aber ich wusste, das ist falsch. Das schadet nur mir selbst. Es war auch so, dass ich ohne Franz Erhard nicht so einfach aus meinem Elternhaus herausgekommen wäre. Das ist mir mit seiner Kraft gelungen. 

FEW: Mir ging es aber immer um die Arbeit. Ich hätte Johanna nie dominieren wollen.

JW: Als wir uns trennten, war ich nicht mal dreißig. Das Thema Partnerschaft war ja noch nicht vorbei. Nur trennte sich jetzt einfach die künstlerische von der privaten.

© Gesine Borcherdt