Zu Tode professionalisiert
/ Welt am Sonntag

Der Jungunternehmer Magnus Resch analysiert den Kunstbetrieb als sexy Business, verkauft Profile von Sammlern und erteilt Galeristen Nachhilfe in Management

Welt am Sonntag – 3. August 2014

Kunst ist sexy, Kunst ist cool, Kunst bedeutet Geld!" Wenn ein Buch so anfängt, gibt es genau zwei Möglichkeiten. Entweder man schubst es pikiert in den Müll, wo es zwischen Vernissage-Einladungen und Pressemitteilungen verschwindet. Oder man überwindet die Reflexe und denkt: Aha! Im Fall des neuen Titels "Management von Kunstgalerien. Was macht eine Galerie erfolgreich?" stößt man nämlich auf Begriffe wie "Marke", "Arty Group", "Kompetenzkonfiguration" oder sogar "Edutainment". Diese Wortneuschöpfung aus Entertainment und Education, soll beschreiben, was der "Art Lover" – nicht zu verwechseln mit dem Investor – als "Leistungskonzept" von einer Galerie erwartet. Zwischen Diagrammen zu Gewinn und Angebotssegmenten taucht der Künstler nur als Dienstleister auf, bewertet auf einer Rangliste von "Superstar" bis "Poor Dog". Spätestens in diesem Moment dürfte selbst der geneigte Leser einen Anflug von Widerwillen empfinden.

"Das ist pure wissenschaftliche Recherche, ich schaue mir nur die Zahlen an", rechtfertigt sich der Autor des Buches. "Ich will ja nicht der Klugscheißer sein, der den Kunstleuten sagt, wie es läuft." Magnus Resch ist 29 Jahre alt und hat das Werk eigentlich als Doktorarbeit in Betriebswirtschaftslehre verfasst. Kunst fand er schon toll, als er um die Ecke von der Düsseldorfer Kunstakademie zur Schule ging. Nach dem Studium in St. Gallen, London und New York gründete er in der Schweiz selbst eine Galerie, um dann aber im Berliner Start-up-Bereich zu landen. Auf einer E-Commerce-Plattform verkaufte er Modeschmuck, aber an der Kunst hing er trotzdem. Mit dem Buch will er durch nüchterne Analysen Transparenz in einen Geschäftsbereich bringen, in dem alle denken, ohne Regularien mitmischen zu können.

Eine lobenswerte Idee. Wer hätte beispielsweise gedacht, dass 40 Prozent aller Galerien Verluste machen? Der durchschnittliche Umsatz einer Galerie im deutschsprachigen Raum liege bei 471.000 Euro, der Gewinn allerdings nur bei 21.600 Euro – also 4,6 Prozent vom Umsatz. Was Resch noch herausfand: Die typische Galerie misst 163 Quadratmeter, wurde 1998 gegründet und handelt mit Gegenwartskunst. 89 Prozent aller Galerien sitzen in Metropolen, davon 86 Prozent im teuren Stadtzentrum. Zwei Drittel aller Galerien beschäftigen nur einen oder wenige, meist schlecht bezahlte Mitarbeiter. Dass viele Galerien schon nach kurzer Zeit schließen, liegt laut Resch an falschen oder fehlenden Managementstrategien. 2000 Adressen hat er untersucht und drei Fallstudien von Galerien erstellt, die nun angeblich profitabler arbeiten als zuvor. All das ist interessant, nur was will uns der Autor damit sagen? Dass der Kunstbetrieb nicht genügend BWLer einstellt?

Die Studie bildet einen Trend ab: Hier professionalisiert sich ein Wirtschaftszweig, der nicht mehr Subkultur ist, sondern einen luxuriösen Lifestyle bedient. Seit einigen Jahren vollzieht sich eine Hollywoodisierung des Kunstbetriebs, der seine Kapriolen auf Auktionen und Messen schlägt. Resch spricht von "Zirkusveranstaltungen" mit "Reichen und Schönen", bei denen allerdings nur Powerplayer wie Larry Gagosian und Hauser & Wirth wirklich verstanden haben, wie es geht. Andere Kollegen dürfen mit Dr. Reschs Büchlein nun nachziehen.

Richtig ist, dass viele Galeristen sich irritierenderweise nicht als Verkäufer sehen, ungern über Geld sprechen und mit ihrem Mangel an Managerqualitäten ihr Umfeld gerne vor den Kopf stoßen. Künstler können dann schon einmal auf Produktionskosten sitzen bleiben und vergeblich auf ihren Gewinnanteil warten. Kunden, die einmal kapiert haben, dass man Kunstwerke auch reservieren kann, ohne sie später zu bezahlen, können die Coolness der Branche gut ausnutzen. Ein Kunst sammelnder Unternehmer kann in der Szene die Sau rauslassen, während er im eigenen Metier seinen Ruf im Handumdrehen verspielen würde. Auch angesichts zwielichtiger Deals und handfester Tricksereien wie etwa beim Fall des derzeit inhaftierten Kunstberaters Helge Achenbach, der bei der Abrechnung die Einkaufspreise von Kunstwerken nach oben korrigiert haben soll – warum auch nicht, schließlich gibt es bei Kunst keine Marktpreisbindung –, ist Reschs Wunsch nach Transparenz durchaus berechtigt.

Aber will man Kunst als "Kernprodukt" definieren müssen, das "einen Nutzen symbolisiert"? Will man sie als "Dekoration, Investition, Diskussionsgrundlage oder Quelle der Inspiration" wahrnehmen? Als "augmentiertes Produkt" und "Mittel zur Abgrenzung von anderen", das ein attraktives Netzwerk mit VIP-Events ebenso im Paket anbietet wie "erwartete Wertsteigerung" und "Freundschaft mit Künstlern"? Folgt man Reschs Methoden, professionalisiert sich der Kunstbetrieb zu Tode, indem er genau das ausradiert, was Kunst ausmacht: das Anti-Gesellschaftliche. Wenn die Kunst sich solchen Formaten anpasst, unterscheidet sie sich nicht mehr. Verschwimmt sie mit ihren Verwertungsstrategien, verliert sie ihre Kritikfähigkeit – und damit ihre Kraft.

Um die Kunst als Fun-Faktor komplett in die Konsumgesellschaft diffundieren zu lassen, findet das Buch viele hübsche Wendungen. "Ähnlich wie Frauen gerne shoppen gehen, testen Künstler unterschiedliche Formate für sich aus", heißt es da. "Ihre Hoffnung ist, von einer Alpha- oder Beta-Galerie entdeckt zu werden." Sammler sollen in Galerien kuratieren dürfen, damit auch Freunde aus dem Golfverein kommen, die dann wiederum Armbänder mit Abdrucken von Kunstwerken erhalten, um sie ihren Kumpels vom Rotary-Club zu zeigen, die dann vielleicht auch Kunst kaufen. Dreht man das weiter und bedenkt, dass Museen immer mehr vom Geschmack der Privatsammler abhängig sind, dürften derlei "Kundenbindungsstrategien" bald in neue Parameter für die Kunstgeschichte umschlagen.

Resch ist inzwischen selbst Teil des Kunstbetriebs. Vor zwei Jahren gründete er "Larry's List", eine Sammlerdatenbank und -rangliste im Internet mit über 3000 Einträgen. Galeristen können sich dort gegen einen Mitgliedsbeitrag Informationen über potenzielle Kunden holen und ihre Adressen kaufen, recherchiert von 25 Mitarbeitern in aller Welt, die Medien nach Kunstkäufern durchforsten. "Ich mache die Hausaufgaben der Galerien – wer liest schon brasilianische Printmedien und recherchiert den Mann auf dem Foto mit dem Baselitz hinterm Schreibtisch?" Die Sammler seien damit einverstanden, dass man ihre Details veröffentlicht. "Es sind ja keine geheimen Daten! Vor allem neue Sammler aus Asien und Südamerika finden uns super, da gibt es keine Ethik vornehmer Zurückhaltung wie früher."

Keine Frage: Die Idee ist smart und sogar integer. Doch es gibt ein Problem: Geschäftsmodelle dieser Art, wie sie derzeit den Kunstbetrieb fluten, machen selbigen zur charmefreien Zone, deren Macher zum Servicepersonal eines "sexy Business" mutieren. Gut möglich, dass die Kunstszene nun endgültig eine Aufspaltung erfährt wie das Filmgewerbe: Hollywood auf der einen Seite, Art-House auf der anderen. Messekünstler wie Tony Cragg und Anish Kapoor, die früher mal genial waren und heute wie am Fließband Großkitsch herstellen, wären dann so etwas wie der Anthony Hopkins oder Nicolas Cage der Kunst – während Überproduktionsverweigerer wie Francis Alÿs oder Bruce Nauman eher Udo Kier oder Michael Fassbender verkörpern. Genau solche Typen sind es aber, an die man sich erinnern wird. Wenn man bedenkt, dass Hollywood seine besten Zeiten hinter sich hat, sowohl kommerziell als auch qualitativ, kann Resch vielleicht in seiner nächsten Studie etwas anderes ausrechnen: das Verfallsdatum für gewinngetriebene Kunstproduktion.

Das Buch erscheint im August im Transcript-Verlag; die Datenbank findet man auf www.larryslist.com

© Gesine Borcherdt