Mike Nelson
/ Capri

8. September – 10. November 2017

CAPRI, Düsseldorf

Mike Nelson wurde in den 1990er-Jahren mit beklemmenden, labyrinthischen Installationen bekannt, die wirken wie Ruinen der Glaubenssysteme des modernen Lebens. Manche beziehen sich auf gescheiterte politische oder gegenkulturelle Bewegungen, andere auf die psychologisch dichte Literatur von H.P. Lovecraft oder Jorge Luis Borges. Abgewetzte häusliche Fundstücke wie Kleider, Poster, Möbel oder Schlafsäcke münden in architektonische Assemblagen, die ein Gefühl der Verlorenheit vermitteln. Nelson erzählt jedoch keine Geschichten, sondern schafft unheimliche Atmosphären, in denen die Überreste dieser gesellschaftlichen Rituale körperlich spürbar sind. Andere Arbeiten vermitteln diesen Ansatz auf sehr viel minimalistischere Weise. Zu ihnen gehört die Installation „A52“, die eigens für CAPRI entstanden ist. Sie ist der jüngste Teil einer Werkreihe, die Nelson 2013 begann: Kaputte Autoreifen, aufgelesen an den Rändern von Autobahnen, werden im Raum inszeniert. Je nach Ausstellungsort beziehen sich ihre Titel auf eine dortige wichtige Schnellstraße: In Birmingham war es die „M6“, in Lyon die „A7 Route du soleil“. In Düsseldorf stammen die Reifen von der „A52“. Alle drei Städte haben ein besonderes Verhältnis zur Straße, sind Orte der alten Industrie und des Durchgangsverkehrs. Die schlichte Form und das einfache Material der Reifen erinnern aber auch an die amerikanische Minimal Art und Land Art, wie sie Robert Morris oder Robert Smithson in den 1960er-Jahren entwickelten. Auch der Gedanke an den „Roadmovie“ liegt nahe, in der die Straße das Tor zur Freiheit und Selbstverwirklichung wird. Den zerstörten Reifen wohnt allerdings etwas Dystopisches inne, wie es etwa in der Romantrilogie von J.G. Ballard („Crash“, „Concrete Island“ und „High Rise“) zum Tragen kommt: Die Inszenierung von Autounfällen wird dort zum Nervenkitzel und teils auch zum sexuellen Fetisch. Die Geschichte der gefundenen Reifen kennen wir nicht, aber es ist klar, dass Unfälle, Verletzungen oder gar Tod mit ihnen verbunden sind. Die Abwesenheit der Fahrzeuge und ihrer Insassen ist spürbar in den teils bizarren, anthropomorphen Formen, die wiederum an archaische Totem-Objekte und ihre Rituale erinnern. In gewisser Hinsicht sind die Reifen genauso Teil eines Rituals – das jedoch eher unbewusst zu unserem Alltag gehört, in dem wir kaum reflektieren, wie wir uns regelmäßig von einem Ort zum nächsten bewegen. Der künstlerische Prozess, immer wieder an verschiedenen Orten gefundene Reifen zu arrangieren, hat – wenn auch auf banale Weise – ebenfalls etwas Quasi-Religiöses. In diesem Sinne finden die verstiegenen Rauminstallationen in den Reifen ihr präzises, skulpturales Gegenstück. Mike Nelson wurde 1967 in Loughborough, England geboren. Er war zweimal für den Turner Preis nominiert (2001 und 2007) und vertrat 2011 Großbritannien auf der Biennale von Venedig. Zuletzt waren seine Arbeiten im Museum Bojmans van Beuningen, Rotterdam (2016) und auf der Lyon Biennale (2015) zu sehen.

Text: Gesine Borcherdt, Kuratorin von CAPRI

 

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