Subversives für die Bonzen
/ Welt am Sonntag

Kunst ist heute so gesellschaftskritisch wie nie zuvor. Und doch bleibt sie mit Geld und Politik verflochten wie zur Zeit Michelangelos. Eine Analyse

Welt am Sonntag – 8. Juni 2014

Zu dem Verhältnis zwischen Sammler und Künstler ist eigentlich alles gesagt: 2003 bat die US-amerikanische Performance-Künstlerin Andrea Fraser ihren New Yorker Galeristen Friedrich Petzel, einen Kunstkäufer zu finden, der sich mit ihr beim Sex filmen lassen würde. Gesagt, getan: "Untitled" – produziert als Video-Edition – zeigt aus der Perspektive einer Überwachungskamera von schräg oben die Künstlerin beim Beischlaf mit einem Sammler auf einem Hotelbett. Auf den ersten Blick könnte jedes Youporn-Video spannender sein. Wer also gibt dafür Geld aus – und dann auch noch 250.000 US-Dollar? So viel ist "Untitled" heute wert. Der Sammler erhielt ein Exemplar im Tausch für seinen Dienst – und vermachte es dem Whitney Museum. Zwei weitere Nummern der Fünfer-Auflage haben Privatsammler gekauft. Über den Rest, für den ihre Galerie viele Anfragen erhält, wacht die Künstlerin mit Argusaugen, damit das Werk nicht an irgendjemanden geht. Fraser kann es sich leisten, denn andere ihrer Arbeiten liegen mittlerweile im sechsstelligen Bereich.

Blickt man sich allerdings auf Kunstmessen um, sind systemkritische Videos in Dokumentationsästhetik nicht gerade der Verkaufsschlager. Eher bevölkern sie die Biennalen dieser Welt, die ja immer versuchen, gegen Markt und Gefälligkeit zu arbeiten. Und in der Tat machen Künstler, die konsequent an sinnlich greifbarem Material vorbeiarbeiten, in der Regel nicht das große Geld. Klar: Wer will Harun Farockis kommentarlosen Filmjournalismus – für den er etwa den Meetings einer Unternehmensberatung beiwohnt, die sich auf "innovative Raum- und Arbeitskonzepte" spezialisiert hat ("Ein neues Produkt", 2012) –, wenn er sich mit Jadehandschellen oder marmornen Überwachungskameras Eyecatcher von Ai Weiwei ins Haus holen kann? Schließlich sendet er damit nicht nur die richtigen politischen Parolen in die Welt, sondern demonstriert auch finanzielle Potenz und Prominentennähe.

Dennoch gibt es für beide Künstler Kunden, und manchmal sind es sogar dieselben. Tendenziell landet zwar jemand wie Farocki oder Fraser häufiger im Museum oder bei Privatsammlern, die nicht so viel Aufhebens um ihre eigene Person machen. Und Ai Weiwei begegnet man eher im Bunker von Christian Boros, wo zurzeit etwa ein toter Sumpfholz-Baum beinahe die meterdicken Wände sprengt – oder im "Art Center" des ukrainischen Sammlers und Oligarchen Victor Pinchuk. In dessen Board und Jurys sitzen praktisch alle Hauptvertreter des Kunstbetriebs, darunter Museumsdirektoren wie Glenn Lowry vom Museum of Modern Art und Großkünstler wie Jeff Koons – aber eben auch der nächste Documenta-Kurator Adam Szymczyk, der wiederum Konzeptkunst wie die von Farocki und Fraser fördert.

Und genau da beißt sich die Katze in den Schwanz: Kunst war noch nie so explizit gesellschaftskritisch, ist aber mit Macht, Geld und Politik noch genauso verflochten wie damals, als Michelangelo seinen nackten Figuren des "Jüngsten Gerichts" in der Sixtinischen Kapelle Tücher um die Hüften malen musste. Heute lässt man die Hosen einfach runter: Linksorientierte Kuratoren und Künstler nehmen für ihre Projekte das Geld von Superreichen, die sich wiederum mit ihren Namen internationale Glaubwürdigkeit kaufen. Aber kann man Künstler eigentlich noch ernst nehmen, die in ihrem Werk auf ebenjene Missstände deuten, wie sie ihre Geldgeber verursachen? Und umgekehrt: Wie glaubwürdig sind Sammler, deren Vermögen auf ganzen Imperien von Gas- und Stahlfirmen, Waffenhandel und der Rüstungsindustrie, Erz- und Silberminen, Pharmaindustrie, Luxusgütern oder Hedgefonds basiert? Sie sind es, die heute zu weiten Teilen den Kunstmarkt beherrschen – und jene Kunst sammeln, die ihre Existenzgrundlage kritisiert.

"Sammler, Galeristen und auch Künstler sind nicht unschuldig an den Verhältnissen. Viele von ihnen verstärken gemeinsam ökonomische Ungleichheit und Ungerechtigkeit", sagt Alexander Koch von der Berliner Galerie KOW. "Manche hängen sich dabei politische Relevanz wie ein Werbeschild um den Hals." Koch selbst vertritt eine ganze Reihe von, wie er es nennt, gesellschaftlich orientierten Künstlern, deren Werk auf einer eher subtilen Ebene Politik und Ästhetik miteinander verknüpft. Darunter der spanische Konzeptkünstler Santiago Sierra, der mit seinen minimalistischen Installationen zu Themen wie Landnahme, Ausbeutung und Rassismus in den weltweit wichtigsten Privat- und Museumssammlungen vertreten ist. Unbeliebt gemacht hat er sich mit Aktionen, bei denen er etwa Prostituierten gegen den Preis für einen Schuss Heroin eine Linie auf den Rücken tätowierte – und damit auf ähnlich unattraktive Weise wie die Performance-Künstlerin Fraser soziale Abhängigkeitsverhältnisse offenlegte. Trotzdem passt seine Kunst auch über einen deutschen Küchentisch: Kürzlich hat Koch die Fotografie seines gigantischen Schriftzugs "S.O.S." im Wüstensand der Westsahara an jemanden verkauft, der sich bisher weder viel mit Kunst noch mit den letzten Konflikten des Kolonialzeitalters beschäftigt hat. "Seit die Arbeit zu Hause hängt, recherchiert die ganze Familie zu dem Thema", sagt Koch. Für viele Sammler sei solche Kunst eben kein Feigenblatt, sondern intellektuelle Inspiration.

Auch Boris Mikhailov ist ein klassischer Kandidat für solche Käufer. Der 1938 geborene Ukrainer, heute einer der wichtigsten Fotokünstler überhaupt, hat die Verlierer des Zerfalls der Sowjetunion in Porträts voller Härte und Armut dokumentiert. Dass auch Pinchuk Werke von ihm gekauft hat, also ein Profiteur des Oligarchensystems, mutet absurd an. Doch um von der globalen Popkultur bis zur Intelligenzija alle auf seine Seite zu ziehen, muss er die Fetischware von Ai Weiwei, Jeff Koons und Jan Fabre eben auch mit solchen komplizierteren Statements mischen. Na und? Für das Gemeinwohl ist es ja besser, wenn Geld in Kunst angelegt wird statt in Immobilien oder Oldtimern. Oder nicht?

"Wir Künstler greifen doch mit unseren politischen Themen letztlich genau die Leute an, die unsere Kunst dann kaufen", sagt Julian Rosefeldt, der mit seinen surreal-hollywoodesken Filmproduktionen zu Globalisierungsthemen zusätzlich noch auf Geldgeber angewiesen ist. "Die Frage ist: Ab wann ist Geld eigentlich schmutzig?" Genau das ist das Dilemma: Im Grunde kann es sich kaum ein Künstler leisten, bestimmte Sammler von seiner Liste zu streichen. Ganz abgesehen davon, dass kein Künstler vollends zu steuern vermag, wer etwas von ihm kauft, denn über den Sekundärmarkt kann praktisch jeder jederzeit an jedes Werk gelangen.

"Längst ist soziologisch nachgewiesen, dass die künstlerische Gesellschaftskritik in neoliberale Managementstrategien einfließt", erklärt Alexander Koch. "Das kompromittiert die Kunst massiv." Die Berliner Galeristin Barbara Weiss, die sowohl Mikhailov als auch Farocki vertritt, sieht es etwas lockerer: "So ist es: Künstler, die sich mit kritischen Themen auseinandersetzen, werden von Leuten gesammelt, die genau damit ihr Vermögen verdienen."

Tatsächlich ist solche Kunst inzwischen sogar aus Investmentsicht sinnvoll. Eine Videocollage wie die der feministischen Künstlerin Martha Rosler, die 1985 in "Global Taste" den Bogen von Werbejargons zur industriellen Eroberung der Dritten Welt schlug, ist inzwischen kunsthistorisch abgesichert und mit einem Preis um 120.000 US-Dollar entsprechend werthaltig. Ebenso David Hammons, der 1983 in den Straßen New Yorks Schnellbälle feilbot. Seine "Body Prints" aus den Siebzigerjahren kosten heute an die 200.000 Euro – eingedeckt hat sich damit ausgerechnet der Luxusmagnat François Pinault.

Dagegen hat der teure Politkitsch eines Jan Fabre beste Chancen, keinerlei Spuren in der Kunstgeschichte zu hinterlassen: Im Pinchuk Art Centre verhackstückt er gerade die Kolonialvergangenheit seiner Heimat Belgien in einer Materialschlacht: Über 60 Mosaike und Totenschädel aus schillernden Käferpanzern, gepaart mit Macheten und ausgestopften Vögeln, sollen das Gruseln vor Ausbeutung, Mord und Folter lehren. Ist manches Geld doch besser in Oldtimern angelegt?

© Gesine Borcherdt