Still, aber nicht sprachlos. Vlatka Horvat bei ŻAK | BRANICKA
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artnet – 12. Januar 2012

Große Kunst mit kleinen Gesten – Versuche gibt es derzeit viele, sich aufgeblasenen Blockbustern entgegenzustellen, wie sie gerne Großmessen und Investorenvillen bevölkern. Doch nur wenige Künstler schaffen den Sprung vom gehauchten Nichts zur Poesie. Vlatka Horvat ist eine davon. Die gebürtige Kroatin, Jahrgang 1974, baut Nester aus Zollstöcken, die an anderer Stelle zerstückelt hinter dem Ziffernblatt einer Wanduhr liegen. Sie komponiert Stühlereigen im Wasser. Schneidet alten Familienfotos sorgfältig die Gesichter weg. Faltet linierte Notizblätter zur Ziehharmonika. Und sie verwandelt Kartonstreifen in eine raumfüllende Spirale, deren geklebte Knicke bei längerem Hinsehen wie kreisende Planeten aussehen, wie nun in der Galerie ŻAK | BRANICKA: Der kantige Kreis füllt fast den gesamten Galerieboden und drängt den Besucher an die Wand, von wo aus er die Knicke im Geiste abrundet und auf eine Umlaufbahn schickt: Ein Kosmos ganz aus Pappe, mit dem die Künstlerin Robert Smithsons gigantischem Land-Art-Fossil Spiral Jetty freundlich zuzwinkert – um dann für immer zu verschwinden.

Es sind die simplen Widersprüche aus Kreis und Kanten, Zeit und Zentimeter, Reih und Glied, Erinnerung und Vergessen, die Horvat zu Spielsteinen universeller Gedanken macht. Dabei gelingt es ihr, die Ästhetik des Banalen zu überwinden und in eine lyrisch-wunderliche Sphäre zu führen. So minimalistisch ihre Skulpturen auch wirken: Das einzige, was sie mit der Avantgarde der Sechziger zu tun haben, ist die Einfachheit von Form. Doch gedanklich geht Horvat weit über die Autonomie der Kunst hinaus und rückt die Parameter des Euklidischen Weltbilds ins Bewusstsein, oder besser: kippt sie sanft ins Absurde.

Besonders, wenn sie den eigenen Körper ins Spiel bringt, zeigt sich die Beharrlichkeit, mit der sie zusammenfügt, was nicht zusammen passt. So versteckt sie sich hinter Laternenpfählen und Mülleimern, steckt den Kopf von draußen in ein geöffnetes Fenster oder taucht ihn in eine Waschmaschine, als wollte sie sich noch einmal selbst von der Unmöglichkeit solcher Fehlkalkulationen überzeugen. Nie gleitet sie dabei ins Burleske ab, indem sie etwa vergeblich versucht, in Papierkörbe zu klettern. Ihre Haltung, die ihr ganzes Werk durchzieht, ist von einer stoischen Eleganz.

Zu einer ihrer schönsten Arbeiten zählt der Satz Here to stay, gelegt aus Laub auf dem Bürgersteig – der nächste Windstoß wird ihn davontragen. Allein ein Foto ist Zeuge des ephemeren Trotzes, mit dem sie sich den natürlichen Zusammenhängen von Dingen und Denken stellt, ihnen den mächtigen Stachel zieht und nebenbei jedes Readymade nonchalant abhängt. Andere Anti Monumentalisten versuchen Ähnliches, verharren aber häufig in esoterischen Andeutungen. Wo sie stumm bleiben, ist Horvat still. Aber nicht sprachlos.

© Gesine Borcherdt