Haltung zeigen
/ art. Das Kunstmagazin

 

Der Bundestag plant eine neue Antisemitismus- Resolution, die noch vor ihrer offiziellen Bekanntgabe Protest auslöst. Bereits Ende 2023 wollte Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) eine Klausel gegen Antisemitismus bei der Bewerbung um Fördergelder einführen, was jedoch am Gegen- wind des Kulturbetriebs scheiter- te, der die Kunstfreiheit und die freie Meinungsäußerung in Ge- fahr sah. Auch die nun geplante Resolution »Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stär- ken« der Fraktionen SPD, CDU/ CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wird in einem offenen Brief aufs Heftigste kritisiert.

Unterzeichnet von in Deutschland lebenden jüdischen Kulturschaffenden wie Candice Breitz und Deborah Feldman wird der Entwurf als »gefährlich« angesehen. »Er wird die freie Meinungsäußerung abwürgen, Deutschland vom Rest der demokratischen Welt isolieren und ethnische und religiöse Minderheiten weiter gefährden, insbesondere unsere arabischen und muslimischen Nachbar*in­ nen«. Juden würden mit den Handlungen der israeli­schen Regierung gleichgesetzt, wodurch sie auch außerhalb Deutschlands in Gefahr ge­ bracht würden. Der Entwurf fixiere sich zudem auf Künstler, Studenten und Migranten als Antisemiten: Menschen, die tendenziell politisch links ste­ hen oder nicht aus Deutsch­ land kommen, sollten als Be­ drohung inszeniert werden.

Eine erstaunliche Lesart, lautet doch die Aufforderung der Resolution, »Haltung zu zeigen und aufzustehen gegen jede Form von Antisemitis­mus«, der sich »seit Langem in allen gesellschaftlichen Berei­chen« finde. Aber es heißt dort eben auch: »Die Entwicklung seit dem 7. Oktober 2023 ist sowohl auf einen zunehmend offenen und gewalttätigen Antisemitismus in rechtsex­ tremistischen und islamisti­ schen Milieus als auch auf einen relativierenden Umgang und vermehrt israelbezoge­ nen und links­antiimperialis­ tischen Antisemitismus zu­ rückzuführen. In den vergan­ genen Monaten ist nicht zu­ letzt das erschreckende Aus­ maß des auf Zuwanderung aus muslimisch geprägten Län­ dern basierenden Antisemitis­ mus deutlich geworden.« Für die Protestierenden stehen solche Sätze für die Unterdrü­ ckung von Vielfalt.

»Die vorgeschlagene Entschließung bietet keinen Schutz für Minderheiten und Pluralismus, sondern genau das Gegenteil«, erklärte der Jurist und Philosoph Elad Lapidot gegenüber art. »Sie verhindert nicht nur nicht den aktuellen Anstieg von Rassismus, Populismus und Nationalismus in der aktuel­ len deutschen Politik, wie er bei den jüngsten Wahlen zu beobachten war, sondern ver­ schärft ihn sogar. Indem sie dies im Namen des Schutzes von Juden tut, fördert diese Entschließung auch den Anti­semitismus und gefährdet das jüdische Leben in Deutschland ernsthaft.« Juden dürften schlichtweg nicht mehr für eine Politik gegen Einwanderung und den Islam instrumentali­ siert werden.

Dass die im offenen Brief be­ droht gesehene freie Meinungs­äußerung nun erst einmal durch diese Proteste zum Seiltanz wird, merkt man daran, dass sich etwa die Leiterin vom Haus der Wannseekonferenz, Deborah Hartmann, oder Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte anne frank, auf Anfrage nicht dazu äußern wollten. Klare Wor­te findet dagegen die Schriftstel­lerin Dana von Suffrin. »Auch wenn die Klausel juristisch noch nicht ausgereift ist – wir brauchen sie, und das ist schon traurig genug«, äußerte sie gegenüber art. »Erstens hat die Kunstwelt ein Antisemitismus­problem, wie man bei der docu­menta deutlich gesehen hat und erst recht in den letzten zwölf Monaten nach dem 7. Ok­tober. Zweitens greifen weder staatliche noch zivilgesellschaft­liche Mechanismen gut genug – man kann sich in diesem Land antisemitisch äußern, ohne ernsthafte Konsequenzen be­fürchten zu müssen.« Misogy­ne, rassistische oder homopho­be Kunst werde aufgrund der Förderrichtlinien vom Staat nicht unterstützt, also müsse er auch bei antisemitischer Kunst eingreifen. »Und keine Sorge, alle Künstler dürfen weiterhin glauben, woran sie wollen, und sogar den größten, gemeinen, stumpfen Unsinn verbreiten, nur halt nicht staatlichgefördert.«//

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