Beeple. Das klingt wie ein niedlicher kleiner Roboter, der blinkend und piepsend herumsaust und kleine Wunder vollbringt. Seit März 2021 schleicht er sich in die Flure von Auktionen, Galerien und Museen und stellt die Kunstwelt auf den Kopf. Seit es Beeple gibt, spricht die Kunstwelt von NFTs – ein Hype, der bis dahin vor allem die Crypto-Community in Aufruhr versetzt hatte. NFT: Das steht für „Non-fungible token“ – eine digitale Datei, die sich nicht kopieren oder verändern lässt und somit den Wert eines Originals bekommt. Ein digitales Foto, ein virtuelles Bild oder ein PDF, das bisher beliebig oft verschickt und vervielfältigt werden konnte, wird mit diesem Attribut zum Unikat – und somit offenbar für Kunst, wenn auch eine ohne Aura. Trendbewusste Menschen und Prominente von Paris Hilton und Snoop Dogg bis Melania Trump übertreffen sich heute gegenseitig im Erstellen von NFTs, deren inhaltliche und ästhetische Relevanz gegen null geht.
Alles begann im Oktober 2020, als Beeple auf der Online-Krypto-Marktplattform Nifty Gateway zwanzig NFTs für insgesamt 3,2 Millionen Dollar verkaufte. Das fiel den Experten vom Auktionshaus Christie’s auf. Um vermögende Tech-Investoren für den Kunstbetrieb zu ködern, baten sie Beeple um ein Werk, und er gab ihnen die „Everydays“: Eine digitale Collage aus 5000 poppig-virtuellen Sci-Fi-Illustrationen – das Ergebnis von 15 Jahren täglichen Posts, die weder sonderlich virtuos noch außergewöhnlich aussehen. Prompt stieg sein Wert auch bei Nifty Gateway: Im Februar 2021 wurde ein Beeple für 6,6 Millionen Dollar verkauft – der Rekord für digitale Kunst. Bis der Krypto-Gigant Vignesh Sundaresan, genannt MetaKovan, bei Christie’s die „Everydays“ für über 69 Millionen Dollar kaufte. Ein rein digital existierendes Dokument wurde somit erstmals zum originalen Kunstwerk erklärt, für eine Summe, mit der sein Schöpfer über Nacht zum drittteuersten lebenden Künstler der Welt avancierte. Inzwischen macht Beeple extra für Christie’s auch Installationen, in die er digitale Videoanimationen einarbeitet. Für seine Arbeit „Human One“ zahlte im November 2021 bei Christie’s der junge Schweizer Tech-Unternehmer namens Ryan Zurrer 29 Millionen Dollar. Aber wer ist eigentlich Beeple?
Beeple, Jahrgang 1981, heißt eigentlich Mike Winkelmann und ist Digitaldesigner aus Wisconsin. Früher hat er für Apple, Space X, Louis Vuitton, Nike und Coca-Cola Webdesign gemacht, nebenbei VJ Loops erstellt und schließlich Konzerte von Eminem, Justin Bieber und Ariana Grande mit digitalen Bildern untermalt. Winkelmann versteht sich als „digital artist“, was er als Abgrenzung zu „traditioneller Kunst“ von Michelangelo bis Andy Warhol sieht, mit der er sich, wie er selbst zugibt, absolut nicht auskennt – auch wenn andere da offenbar gerade keinen Unterschied machen. Ob man das mag oder nicht: Die Tatsache, dass Beeple massenhaft geteilte, dystopisch-illustrative Pop-Bildchen zur Kunstbehauptung umformuliert, an der sich eine ganze Investoren- und Instagram-Welt berauscht, während er für andere den Dämon des Digitalzeitalters verkörpert, jenseits jeder Tiefgründigkeit und Authentizität des abendländischen Kunstanspruchs, ist ein Grund, genauer hinzuschauen.
Wer Winkelmann beispielsweise bei einem glamourösen Museumsempfang erlebt, umgeben von Aristokraten, Sammlermillionären und Kunstexperten, die ihn als neuen Superstar feiern, der sieht einen bebrillten Mann, der ebenso verdruckst wie verschüchtert, so simpel wie bescheiden ist und hier völlig aus dem Rahmen fällt. In seiner freundlich-hölzernen Art, mit der er sich im Minutentakt durch seine Fifties-Haarolle fährt, amüsiert es ihn, dass man ihn so würdigt, aber zynisch ist er nicht. „Ich bin ja nur ein Nerd. Digitale Designer sehen alle so aus wie ich. Aber seit letztem Jahr hat sich mein Leben um 180 Grad gedreht! Und ich habe noch nie so oft so gut gegessen.“ Das viele Geld sei schon in neue Projekte geflossen, und in ein paar Ausflüge mit der Familie, in Disneyland sei er nun endlich mal gewesen. Wenn er da so sitzt, eingezwängt in fürstliches Interieur und beäugt von Menschen, die am großen Rad der Kunstszene mitdrehen, und wenn er im plustrig-blauen Businesshemd etwas zu laut redet, etwa davon, wie Star Wars ihn als Kind geprägt hat, dann kann man ihm das alles nicht übelnehmen. Zumal es doch eher über ihn gekommen ist als dass er es geplant hätte. Auf Instagram folgen ihm heute über 3 Millionen Menschen. Neulich hat Madonna ihn angerufen. Mit ihr hat er dann ein NFT-Triptychon mit dem Titel „Mother of Creation“ herausgebracht, in dem der Pop-Göttin ein Laubbaum aus der Vagina wächst. Die drei Teile wurden für den Krypto-Gegenwert von jeweils rund 136.000, 147.000 und 346.000 Dollar für wohltätige Zwecke versteigert. Dass so jemand in einem der besten Museen Europas direkt neben Francis Bacon seinen Platz finden könnte, wie derzeit im Castello di Rivoli in Turin, war bis vor einem Jahr noch undenkbar. Doch Winkelmann hat das nicht lanciert. Er macht den Tanz um ihn mit und bedient die Kunstwelt mit Dingen, die aus seiner Sicht „digital Art“ sind – ohne dass jemand hinterfragt, dass diese Bezeichnung auch auf Künstler wie Ed Atkins und Jon Rafman zutrifft, die als Bildende Künstler ebenfalls mit digitalen Animationen arbeiten. Doch Winkelmann hat nicht ihr Niveau. Er mag gut sein im kommerziellen Bereich – doch auf der künstlerisch-konzeptionellen Ebene kann er mit der Kunstgeschichte nicht mithalten.
Man muss nur seine digital entworfenen Drucke und Ölbilder mit Köpfen von Jeff Bezos und Mark Zuckerberg anschauen, die er im März unter dem Titel „Uncertain Future“ (30.000-75.000 Dollar, alle sofort verkauft) in der New Yorker Galerie Jack Hanley zeigte. Sie sind zu naiv und zu plakativ, um im Kontext von „traditioneller Kunst“ zu bestehen. In der Crypto-, Video-Nerd- und Popkultur, auf dem Bildschirm oder durch eine 3D-Brille, mögen sie unterhaltsam aussehen. Doch im realen Raum sind sie ästhetisch wertlos. Winkelmanns hyperrealistische Szenarien sehen aus wie von einem, der im Kunst Leistungskurs gerade Surrealismus durchnimmt und das auf die Ära von Sozialen Medien und Klimawandel anwenden will. Dass Winkelmann ganz offensichtlich das tut, was im Spaß macht, dass er die richtigen Knöpfe drückt und damit Erfolg hat, ist durchaus legitim. Aber zum Künstler macht ihn das nicht.