Noch nie wurde die Kunstwelt so strategisch unterwandert wie von Katar
/ Welt am Sonntag

Kunstmesse Art Basel im Juni 2025: Wer in der „Collector’s Lounge“ zwischen potenten Galeristen, Kunstsammlern und Museumsdirektoren versuchte, einen Platz zu ergattern, fand einen sanften Zufluchtsort in Hellbeige und Bordeauxrot. An der Bar wurde Kaffee mit Kardamom serviert, im Hintergrund liefen wolkige Werbefilme von Qatar Airways. Die Fluglinie ist der neue Premiumpartner dem weltweit wichtigsten Marktplatz für zeitgenössische Kunst mit Dependancen in Paris, Miami und Hongkong. Im Februar 2026 wird die Messe ihre erste Ausgabe in Doha feiern. Das Emirat Katar am Persischen Golf – synonym mit der Herrscherfamilie Al Thani – ist damit neuer strategischer Partner und Mitveranstalter der Art Basel.

 

Der Schritt steht für eine Entwicklung, die sich im Kunstbetrieb seit rund 15 Jahren abzeichnet. Galerien, Auktionshäuser und Museen verlagern ihre Aktivitäten zunehmend in die Golfregion. Deren Monarchien kaufen Kunst zu Höchstpreisen, errichten im Eiltempo ganze Museumslandschaften und locken die Kunstszene mit Biennalen, Messen und Residenzprogrammen: nach Katar, in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Saudi-Arabien. Dass dort die Scharia gilt, womit Meinungsfreiheit und Menschenrechte nicht sehr hoch im Kurs stehen, hat die sonst so gesellschaftskritischen Künstler, Kuratoren und Kunsthändler bisher kaum gestört.

 

Mit dem Einstieg in die Art Basel hat Katar den Wettbewerb um die Hauptkunstdestination der Golfstaaten gewonnen. Das hat auch mit seiner Größe zu tun. Die Halbinsel ist nur etwas kleiner als Oberbayern, was das Land leicht kontrollierbar macht. Anders als bei seinen Konkurrenten entscheidet die Familie Al Thani alles selbst. Dohas Flughafen ist ein hochmodernes Drehkreuz und Qatar Airways in seinen Annehmlichkeiten kaum zu überbieten.

 

Dagegen hat Saudi-Arabien, dessen konservative Bevölkerung den Fortschritt des Landes lange bremste, mit seiner Modernisierung gerade erst begonnen. Auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten – es sind sieben unter einem Dach – haben Entscheidungsprozesse ihre Tücken. Im Vergleich dazu kann Katar mit seinen nur 300.000 Einwohnern schnell, schlau und strategisch handeln.

 

Das Geld stammt aus dem astronomischen Vermögen, das die Herrscherfamilie Al Thani – die britische Zeitung „The Guardian“ hat sie als „eine der repressivsten Familien der Welt“ bezeichnet – seit 1997 mit dem Export von Flüssiggas aus dem weltgrößten Erdgasfeld verdient. Der einst schläfrige Wüstenstaat, dessen einziges Geschäft das Perlenfischen war, verwandelte sich so in eine Glitzerwelt aus Skyscrapern und Sportstadien, Shopping-Malls und Museen.

 

Sie werden gebaut von Millionen von Arbeitern aus Nepal, Indien oder Bangladesch, denen man teils die Pässe wegnimmt, sie in engen Containersiedlungen schlafen und auf den Baustellen in glühender Hitze sterben lässt. Dass Dienstmädchen aus ebensolchen Ländern geschlagen, missbraucht und sogar ermordet werden, hat ebenfalls Schlagzeilen gemacht. Die Katarer selbst sind so reich, dass im Prinzip kaum jemand von ihnen arbeiten müsste – das Bruttoinlandsprodukt betrug 2023 pro Kopf 128.919 Dollar, das dritthöchste der Welt.

 

Katar: Glitzerwelt mit Makeln

 

Katar wurde und wird immer wieder mit der Förderung und Finanzierung islamistischer Gruppen in Verbindung gebracht, darunter die Muslimbruderschaft, die Hamas, die Taliban und der palästinensische Terrorismus. Katars Medienkonzern Al-Dschasira verbreitet auf Arabisch islamistische Propaganda, die 430 Millionen Menschen in über 150 Ländern erreicht, dafür von internationalen Medien kritisiert wird und, anders als in den USA oder Europa, in vielen Ländern der Golfregion – zumindest offiziell – verboten ist.

 

All das hat weder Katar selbst noch der Fifa geschadet, als sie trotz anfänglicher Kritik 2022 die Fußballweltmeisterschaft dort austragen ließ. Die Entscheidung im Jahr 2010 war der Startschuss für Katars Sturm in die Oberliga westlicher Institutionen. Dazu zählten bald auch amerikanische Eliteuniversitäten wie Cornell und Georgetown, die in Doha Dependancen errichteten, obwohl sie dort mit Zensur durch die Regierung konfrontiert sind. Doch das akzeptierte man genauso wie die von Katar beauftragten Superarchitekten Jean Nouvel, Herzog & de Meuron und Rem Koolhaas die Situation auf den Baustellen. Wieso also soll die Kunstwelt nicht ihren Teil vom Kuchen abhaben?

 

Im Grunde war auch niemand erstaunt, als die Art Basel (die der Schweizer Messegesellschaft MCH Group gehört, an der wiederum maßgeblich der amerikanische Investor James Murdoch beteiligt ist) im Mai die Art Basel Qatar ankündigte. Das war kurz nachdem das Land den ersten Länderpavillon seit dreißig Jahren auf dem Giardini-Gelände der Biennale von Venedig einweihen durfte, das der Lagunenstadt gehört.

 

Lanciert hat dies die Scheicha Al-Mayasa bint Hamad bin Chalifa Al Thani, die längst eine Größe im Kunstbetrieb ist. Die Schwester des regierenden Emirs, Politikwissenschaftlerin mit Abschluss der Duke University, Vorsitzende der Museumsbehörde von Katar, Leiterin für Megaskulpturen im öffentlichen Raum und mächtige Sammlerin wurde seit 2012 von dem britischen Kunstmagazin „Art Review“ fünfmal zu den hundert wichtigsten Personen der Kunstwelt gezählt. „Katar kauft derzeit mehr moderne und zeitgenössische Kunst als jedes andere Land der Welt, dank der hyperaktiven Käufe der Herrscherfamilie Al-Thani“, hieß es 2013, als sie den ersten Platz belegte.

 

Da hatte die Scheicha in Doha bereits 2010 das Arabische Museum für moderne Kunst und 2008 das Museum für Islamische Kunst eingeweiht, bevor 2019 das Nationalmuseum von Katar folgte. 2030 sollen das Lusail Museum für orientalische Kunst und das Art Mill Museum für Kunst der Gegenwart und Moderne eröffnen. Dort werden Werke erwartet, die Katar für bisher rund eine Milliarde Dollar ersteigert hat, darunter Paul Cézannes „Kartenspieler“ für über 250 Millionen, Francis Bacons „Three Studies of Lucian Freud“ für 142,4 Millionen und Mark Rothkos „White Center (Yellow, Pink and Lavender on Rose)“ für 72,9 Millionen.

 

Was wird auf der Art Basel Qatar zu sehen sein?

 

Man sei kuratorisch und operativ unabhängig, heißt es vonseiten der Messe. Doch wie soll das gehen in einem Land, das jede Form von Gottesdarstellungen aber auch Nacktheit verbietet – also essenzielle Motive abendländischer Kunst, aus der heraus sich die autonomen künstlerischen Positionen der Gegenwart ableiten? Gerade wurde bekannt, dass der seit dem Jahr 2024 in Doha lebende ägyptische Künstler Wael Shawky, bekannt für seine historisierenden Marionetten, künstlerischer Leiter der Art Basel Qatar sein wird. Unter dem Titel „Becoming“ soll er einen Sonderausstellungsbereich mit Fokus auf Künstlern aus der Region und Nordafrika kuratieren.

 

Auf die Frage nach Zensur antwortete Shawky dem britischen Kunstmagazin „The Art Newspaper“: „Mir ist klar, dass es hier Grenzen gibt. Aber ich habe nie erlebt, dass sie die Qualität von Ausstellungen in Doha beschnitten hätten.“ Dann verweist er auf die vermeintliche Zensur im Westen. „Nirgendwo gibt es völlige Freiheit.“ Erstaunlich, wie schnell ein Künstler, der schon in den größten Galerien und Institutionen demokratischer Staaten ausgestellt hat, deren Grundwerte verrät, sobald Katar sein Gehalt bezahlt.

 

Zugleich sind die Art Basel und auch die Biennale von Venedig schon lange Plattformen auch für Künstler, die Kunst über Klimaschutz oder Mitgefühl machen, aber um die Welt fliegen oder gegen Juden hetzen. Auch fragwürdige Premiumkunden wie Scheichs, Oligarchen, Waffenhändler, Erzminenbetreiber sind im Kunstbetrieb historisch gesehen nichts Neues: Schon die Päpste und Familien wie die Medici lenkten mit Kunst von ihren Untaten ab und kauften sich so Status und Einfluss. Wenn aber die größte Kunstmesse der Welt und die älteste Kunstbiennale überhaupt einen Staat hofieren, der vielfach in Verdacht steht, den Terror gegen die westliche Zivilisation zu fördern und der Meinungsfreiheit mit Gefängnis und Tod bestraft, so muss man das als die Art von Gewogenheit betrachten, mit der auch die höchsten Funktionäre in Politik, Wirtschaft, Forschung und Sport für Katar beide Augen zudrücken.

 

Der Luxusjet für Donald Trump ist hier nur die Kirsche auf der Torte, die Katar geschickt an demokratische Länder verfüttert. Man muss nur einmal kurz überlegen, warum deutsche Politiker bei den Predigten zweifelhafter Mullahs in den hiesigen Moscheen wegschauen. Oder eben nachfragen, wie es eigentlich genau zu dem neuen Pavillon in Venedig kam? Ganz einfach: Katar hat ein „Kooperationsprotokoll“ unterzeichnet, in dem steht, dass es nun in das Kulturerbe der Lagunenstadt investiert.

 

Kunstsinn und Judenhass

 

„How Katar bought America“ betitelte kürzlich die Online-Zeitung „The Free Press“ einen Artikel, der detailliert aufrollt, wie mühelos und auf historisch beispiellose Weise Katar unzählige amerikanische Politiker und einstige Kritiker mit sehr viel Geld dorthin gelenkt hat, wo es sie haben will. Laut dem Artikel hat Katar 100 Milliarden Dollar in Politik, Medien und Universitäten investiert und 225 Millionen seit 2017 für Lobbyarbeit und PR in Washington.

 

Noch nie wurde eine demokratische Supermacht so schnell und konsequent unterwandert, zumal von einer absoluten Monarchie, die, wie der Artikel argumentiert, dem radikalen Islamismus offenbar auch aus ideologischen Gründen nicht abgeneigt ist. Das ist anders als in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien, wo man Kritiker mit Zensur, Gefängnis, Folter und Schlimmerem bestraft, aber zugleich islamistische Terrorgruppen ablehnt: Bei der Größe ihrer Staaten laufen sie Gefahr, Massenbewegungen gegen die Herrscherfamilien loszutreten, so wie 1979 im Iran.

 

Auf Katars kleiner Fläche kann das nicht passieren. Und so machen die Al-Thanis keinen Hehl daraus, dass sie die Hamas mögen und Israel nicht. Scheicha Moza bint Nasser, Mutter des Emirs und der kunstsinnigen Scheicha Al Mayassa sowie Vorsitzende der Bildungsorganisation Qatar Foundation International, die Millionen Dollar an amerikanische Schulen spendet, glorifizierte den Urheber des Massakers vom 7. Oktober 2023 Jahja Sinwar nach dessen Tötung auf X: „Er wird weiterleben und sie werden fort sein“, womit die jüdischen Menschen in Israel gemeint waren. Es war also kein Zufall, dass im Jahr 2024 in einer von Katar geförderten Schule in Brooklyn plötzlich eine Weltkarte ohne Israel hing, wie auch die „New York Times“ berichtete. Auf dem Territorium stand nur „Palästina“.

 

Genau hier gibt es eine gruselige Überschneidung mit dem Kunstbetrieb. Dessen lauter, linker Teil, bestehend aus propalästinensischen Künstlern, Kritikern und Kuratoren zelebriert den Hamas-Terror als „Widerstand“ und will Israel von der Kunstlandkarte wischen. Mit Kufiyas und Palästinenserflaggen wird links dasselbe gefordert, was Katar mit hyperkapitalistischem Bling-Bling erreichen will.

 

Von Israel „bereinigte“ Karten

 

Venedig, gebaut auf den langsam sinkenden Pfählen der Hochphase westlicher Zivilisation, steht dabei wie ein Sinnbild des Niedergangs: Der Leiter der Kunstbiennale 2024 Adriano Pedrosa postete unbehelligt auf Instagram eine von Israel „bereinigte“ Karte, während er linke Demonstranten mit Intifada-Gebrüll für den Boykott des israelischen Pavillons demonstrieren ließ. Katar lässt sich derweil selbst einen bauen.

 

Es ist der alte, antisemitische Schulterschluss zwischen Linken und Islamisten, die Israel als verlängerten Arm der USA sehen und nicht als Schutzraum für Juden nach dem Holocaust. Für beide ist „Palästina“ das Sinnbild der Unterdrückung durch den kapitalistisch-imperialistischen, christlich-prozionistischen Westen. Und Juden, so schrieb unlängst die „taz“, „werden als gefährliche, seelenlose Verkörperung von Moderne, kritischem Geist und Emanzipation markiert. Dies trägt immer schon die Möglichkeit in sich, sie eines Tages nicht mehr nur als Chiffre für alles Übel in der Welt zu betrachten, sondern sie zu vernichten.“ Schon vor über 50 Jahren benannte Jean Améry den selbstgerechten Antizionismus der damals Neuen Linken als lupenreinen Antisemitismus.

 

Wenn man bedenkt, wie sehr linksintellektuelle Diskurse und Auffassungen heute die westliche Gesellschaft bestimmen und wie vereint Berliner Linksgrüne und Muslime nach dem 7. Oktober in Neukölln feierten, während Juden in Prenzlauer Berg und Charlottenburg wieder Judensterne übertünchten – dann wird klar, wie leicht es Katar in einer Welt hat, die so sehr von Selbsthass und spiritueller Heimatlosigkeit zerfressen ist, dass sie ihre eigenen freiheitlichen Werte verrät, während sie von ebendiesen profitiert.

 

Die Kritik, gegen die Katar zur Fußball-WM noch antrat, hat das Land längst weggekauft. Dass es nun als Vermittler zwischen der Hamas und Israel auftritt und so noch mehr Sympathien weckt, ist an strategischem Geschick kaum zu überbieten. Die Al Thanis spielen ihr doppeltes Spiel mit all den dabei entstehenden Abhängigkeiten derart klug und effizient, dass man sie dafür beinahe bewundern kann.

 

Wohin wird Katars Kulturimperialismus als Nächstes führen? Der Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin, Klaus Biesenbach, traf sich im Mai 2025 mit Abdalla Al Hamar, dem Botschafter von Katar. Auf „X“ sieht man die beiden, zwischen ihnen eine Frau mit Kopftuch, ein Schild mit der Aufschrift „Dream Together“ in die Kamera haltend – dem Titel von Yoko Onos aktueller, von Frieden und Gemeinschaft halluzinierender Ausstellung in der Nationalgalerie. Unter dem Bild die Botschaft: „Im Gespräch ging es um die Berliner Kunstszene sowie um mögliche zukünftige Kooperationsmöglichkeiten zwischen beiden Seiten.“ Man wünscht sich nur eins: Mögen sie doch bitte weiterträumen.