Vielleicht lag es an der strengen Sicherheitskontrolle vor der Berliner Staatsbliothek: Es ging verblüffend zivilisiert zu auf dem im Vorfeld von Absagen und Boykottaufrufen umtosten Symposium »Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung«. Das war bei der Eröffnung der Nan-Goldin-Retrospektive zwei Tage zuvor in der neuen Nationalgalerie, die den Anstoß für die Veranstaltung gab, nicht der Fall: Die Künstlerin hatte dort ihre Eröffnungsrede genutzt, um ihre »moralische Empörung über den Genozid in Gaza und im Libanon« kundzutun und zum Protest aufzurufen, der noch im Museum lautstark mit mitgebrachten Palästinaflaggen losbrach. Goldin klagte Deutschland an, den »Krieg gegen Kinder« nicht anzuerkennen und Künstler wegen propalästinensischer Äußerungen gecancelt zu haben, wofür sie vor Ort und in den sozialen Medien bejubelt wurde wie eine Heldin. Belege für ihre Worte lieferte sie nicht – auch nicht für die Opferzahlen, in die sie auf der einen Seite Hamas-Kämpfer einschloss, während sie die fast 400 ermordeten israelischen Sicherheitskräfte des 7. Oktober ausließ, auch wenn sie nicht im Krieg waren. Wohlgemerkt: Goldin war eine von 8000 Künstlern, die den offenen Brief der Zeitschrift »Artforum« unterzeichnet hatten, der keine zwei Wochen nach dem 7. Oktober 2023 die Befreiung Palästinas forderte, ohne den Terrorakt der Hamas mit einem Wort zu erwähnen. Nationalgalerie-Direktor Klaus Biesenbach, der Goldin unzensiert eine Plattform in einem der wichtigsten Museen Deutschlands gab und nun die gegenläufige Meinung seines Hauses zum Ausdruck bringen wollte, wurde dagegen – »Fuck Germany, fuck Israel, yalla Intifada!« – niedergebrüllt. Mehr Beweis, wie nötig Dialoge sind, brauchte man nicht. Und doch wollte Goldin, die selbst jüdischer Herkunft ist, nicht an dem Symposium teilnehmen und hatte unter dem Instagram- Post von »Strike Germany« behauptet, von dessen Planung nichts gewusst zu haben: Die anonyme Gruppe hatte die Veranstaltung zu verhindern versucht und die Organisatoren – die Antirassismus-Trainerin Saba-Nur Cheema und Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank (die als muslimisch-jüdisches Paar seit der documenta 15 offenbar als einzige Brückenbildner zwischen den Fronten arbeiten) – als Genozidleugner beschimpft, die Goldins Ausstellung »weißwaschen« und »gegnerische« Stimmen abwürgen wollten. »Shut it down!«, so ihr Appell, dem die beiden tapfer die Stirn boten. In ihrer Einführungsrede sagten sie dann, Proteste gehörten dazu, doch es gebe Grenzen, wo Menschen niedergebrüllt, Mitarbeiter der Nationalgalerie als Nazis beschimpft und geladene Teilnehmer so lange bedroht würden, bis sie absagten. Wie sehr Hassreden im Kunstbetrieb Usus geworden sind, belegte die Broschüre, Dass der Antisemitismus-Begriff in der gerade vom Bundestag verabschiedeten Antisemitismus-Resolution benutzt werde, um Israelkritiker mundtot zu machen, was der AfD in die Hände spiele, führte die Publizistin María Inés Plaza Lazo an, die es auch okay fand, Stimmen, die den 7. Oktober als Dekolonisierung romantisierten, Gehör zu schenken. Dagegen benannte Andreas Fanizadeh – Kulturchef der »taz«, dessen Vater nach der Iran-Revolution nach Deutschland geflohen war – die in Kunstkreisen gern ignorierte Tatsache der Verwicklung der Linken mit der Hamas. Die Regisseurin Sharon Oh sprach von der sozialen und professionellen Ausbootung israelischer Künstler im Kunstbetrieb – was zum Highlight des Symposiums überleitete, der Künstlerin Ruth Patir, die Israel auf der letzten Venedig-Biennale vertrat. Ihre Arbeit im Pavillon blieb unzugänglich – Patir wollte ihn nicht öffnen, solange ein Waffenstillstand und die Freilassung der gekidnappten Geiseln nicht erreicht seien, zeigte Bilder ihres neuen Films aber nun in Berlin. Der Tag des Symposiums war auch der letzte der Biennale, in deren Vorfeld mehr als 23 000 Künstler und Kulturschaffende zum Boykott der Teilnahme Israels aufgerufen hatten (was der künstlerische Leiter Adriano Pedrosa unkommentiert ließ) – eine der Unterzeichnenden war Nan Goldin. Auch auf der Biennale gab es hasserfülltes Intifada- Gebrüll von einem Preview-Publikum, das teils aus teilnehmenden Künstlern, teils aus anderen Demonstranten bestand, die problemlos Zugang zum sonst so gesicherten Gelände erlangt hatten. Internationale Kunstmedien ignorierten oder verharmlosten den Vorfall, genau wie sie nun die Worte der Kulturstaatsministerin Claudia Roth – die Goldin als Künstlerin würdigte, aber die »unerträglich einseitigen Ansichten der politischen Aktivistin auch zu Israel« kritisierte – als »Anprangerung« (»ARTnews«) bezeichneten. Trotz des friedlichen, aber auch eher von Mono- als von Dialogen geprägten Verlaufs des Symposiums hatte man das im Kopf, als man, wieder draußen, an Polizeiwagen und Absperrung vorbei auf die Neue Nationalgalerie blickte und Goldins Ausstellungstitel als Drohung las: »This will not end well«.
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