Im Land der falschen Versprechnugen
/ Welt am Sonntag

Welcome to Saudi Arabia“, sagt die Mitarbeiterin am Flug- hafen in Riad und stempelt den Reisepass. Sie ist bis auf ihr Gesicht schwarz verhüllt. Touristinnen aber, sagt sie, müssten nicht mal ein Kopftuch tragen. An den Wänden hinter ihr leuchten Wü- stenlandschaften mit fröhlichen, bärtigen Männern darauf, zu Pferd, mit Smartphone, zwischen Pflanzen und Glastürmen und immer mit Ghutra, dem rot-weiß gemusterten Kopftuch. Werbe- banner mit weichgezeichneten Zu- kunftsvisionen flankieren die endlosen, riesige Geröllbrachen durchschneiden- den Autobahnen im rund acht Millionen Einwohner zählenden Riad wie eine Heilsbotschaft. Ihr Verkünder ist der Kronprinz Mohammed Bin Salman. 

 

Der 36-Jährige wird als Erneuerer Saudi-Arabiens gefeiert, das mit seiner strengen, wahhabitischen Auslegung des Islams bisher als der reichste, aber auch konservativste Staat der Arabischen Halbinsel galt. Und Mohammed Bin Salman hat große Pläne. Er will sein Land zukunftstauglich machen, kunstaffin und klimaneutral, fit für eine Ära nach dem Öl. Der Kunstwelt wurde er be- kannt, als er 2017 für über 450 Millionen Dollar den umstrittenen „Salvator Mun- di“ kaufte, den Erlöser, von dem einige behaupteten, er sei von Leonardo da Vinci persönlich. Bis heute ist nicht klar, wo sich das Bild befindet.

 

Trotz des Fauxpas mit dem vermeint- lichen Leonardo hat der Kronprinz die Kunst zur Säule seiner „Saudi Vision 2030“ erklärt – so der Name seines Plans, den Staat unabhängig vom Öl zu machen. Und zwar mit Megaprojekten. Der „King Salman Park“ in Riad etwa soll auf 16 Quadratkilometern der größte Stadtpark der Welt werden, mit einer Million Bäumen, mit Wasserfällen, Thea- tern, Kunstgalerien, Bibliotheken, Shop- pingmalls, Businesscentern und einer Ski-Halle. Der größte Coup ist „The Li- ne“: eine 170 Kilometer lange Hightech- Stadt, die wie ein Peitschenhieb die Wü- ste durchschneidet – digital, klimaneu- tral und alles in Reichweite.

 

Stiehlt der Kronprinz mit seinem Hightech-Wüstenplaneten den anderen Golfstaaten bald die Schau? Wo sich Ka- tar und die Vereinigten Arabischen Emi- rate seit der Jahrtausendwende einen Wettlauf um die weltgrößten Sporte- vents, Kunstmuseen und Wolkenkratzer liefern – ungeachtet der Menschenrech- te und des Klimaschutzes –, war Saudi-Arabien bisher als größtes Land der Re- gion mit den Pilgerorten Mekka und Me- dina vor allem die Wiege des Islams. Dessen fundamentalistische Auslegung stand nie im Widerspruch zu den engen Beziehungen mit den USA, die hier 1938 Öl entdeckt hatten. Bis heute boomt das Geschäft mit Amerika.

 

Von der „Vision 2030“ wurden jetzt auch Architekten und Tech-Firmen aus Deutschland und der Welt angelockt. Nur kurz dauerte auch die Phase, in der die westlichen Staatengemeinschaften auf Distanz gingen, als der Journalist Ja- mal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul bestialisch ermordet worden war – und der Kronprinz als Auftragge- ber feststand. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron hält fest an seiner Kooperation mit Saudi-Arabien beim Mega-Kultur- und Tourismuspro- jekt in der Wüste, al-Ula: ein Museum der arabischen Zivilisationen, dreimal so groß wie der Louvre Abu Dhabi. Anfang Dezember 2021 reiste Macron sogar nach Riad, als erster westlicher Staatschef nach dem Khashoggi-Mord, und tät- schelte Bin Salman den Arm. Es kam einer Rehabilitation gleich.

 

Zufälligerweise eröffnete zur selben Zeit eine weitere Etappe des groß angelegten Kunstprojekts „Riyadh Art“. „Die könig- liche Kommission Riads verwandelt die Hauptstadt in eine kreative Leinwand und hebt ihre Stellung auf eine globale Top-Ten-Stadt, entsprechend den Zielen des Königreichs für 2030“, heißt es auf der Website. Im Frühjahr schon hatten bekannte Künstler wie Carsten Höller, Daniel Buren und Robert Irwin temporä- re Lichtinstallationen in der Stadt aufge- stellt – eine schöne Idee, die vor allem zuden spektakulären postmodernen 80er- Jahre-Bauten der Stadt passte. Allein das Innenministerium von Archisystems sieht aus wie ein riesiges Ufo, und Archi- tekt Frei Otto baute „Tuwaiq Palace“, eine Art Diplomatenklub in der Wüste, der wirkt wie eine außerirdische Oase.

 

Unsere Reise aber geht ins neu gebaute Stadtrandgebiet JAX, zu einer Skulp- turenschau namens „Tuwaiq Internatio- nal Sculpture Symposium“. Dort, so heißt es, sollen „einige der prominente- sten Namen der internationalen Kunst- welt“ neben einheimischen Künstlern ausstellen. Die Wirklichkeit zeigt eine Schaufläche, auf der in Reih und Glied abstrakt behauene Steine stehen, iden- tisch in Höhe und Breite, im selben Stil, als trügen sie eine Uniform oder dienten als Modelle für einfallsreiche Wolken- kratzer. Die Künstler sind den geladenen Kennern unbekannt, und es wirkt selt- sam, wie nun illustre Museumsdirekto- ren und Kunstkritiker aus Europa und den USA herumirren und die verspro- chene Qualitätsausstellung suchen.

 

Unter Sternenhimmel gibt es eine Preisverleihung. Als der Blick gedanken- voll gen Himmel schweift, scheint dort eigens eine Sternschnuppe ihren Weg zu finden oder vielmehr gleich zwei. Wurde gar ein Feuerwerk gezündet? Denn von der anderen Seite gleitet ein weiterer Leuchtkörper heran, der die beiden vori- gen vor aller Augen zur Explosion bringt. Am nächsten Tag berichtet die BBC, dass Riad zwei Raketen aus dem Jemen abge- schossen hat, die dort von den Huthi-Re- bellen gezündet wurden.

 

Vielleicht ist der Weg in die Zukunft doch weiter als gedacht. Man muss nur in die Wüste fahren, um in ruinösen Betondörfern Män- ner zwischen Müll und Geröll herumlun- gern zu sehen, das einzige Highlight die Imbissbuden mit klebrigen Burger-Bil- dern, wo es Hummus aus Eimern gibt. Von Frauen weit und breit keine Spur.

 

Ganz anders die Stimmung im Misk Art Institute, dem frisch renovierten Ausstellungshaus mit Atelierprogramm im Herzen Riads, das zum Kulturministerium Saudi-Arabiens gehört. Es ist gekoppelt an die Misk Foundation, Misk Foundation, eine Non-Profit-Organisation, die eine „Prinz Mohammed Bin Salman Non Profit City“ plant. Hier sollen die globalen Entre- preneure von morgen ausgebildet wer- den, um Wissenschaften, Künste und neue Technologien voranzubringen und „ein vibrierendes saudisches Talentsy- stem, um die Zukunft des Königreichs und der Welt zu formen“ – alles auf fuß- gängerfreundlicher, zu 44 Prozent grü- ner Fläche: die nächste Utopie aus Start- up, Sci-Fi und Elite-Campus, die in de- mokratischen Ländern so niemals umge- setzt werden könnte, aber mit der sich der Gottesstaat nun in ein kreatives, kli- maneutrales Arkadien verwandeln will.

 

Reem al-Sultan, CEO des Misk Art In- stitute, erklärt im Gespräch: „Wir wollen die Kunstszene Riads unterstützen, die noch in den Anfängen steckt. Der Kron- prinz glaubt an die Kunst als Kraft der Zukunft, an ihre Relevanz für unser aller Lebensqualität, weshalb er dieses Insti- tut gegründet hat. Wir wollen sein Ziel erfüllen, Saudi-Arabien zu einem der Top-Länder für Kunst und Kultur zu ma- chen. Wir geben den Künstlern alles, was sie brauchen, um zu arbeiten.“

 

Und was, wenn einer von ihnen den Prinzen aufs Korn nimmt, den König durch den Kakao zieht, politische und kritische Statements macht? „Wir ermu- tigen Künstler dazu. Das ist Teil des neu- en Denkens in Saudi-Arabien“, sagt sie und klingt wie eine KI. Die Ausstellung im Misk Art Institute hat jedenfalls ein ähnliches Problem wie die Skulpturen- schau: Abstraktion, wohin man blickt, die Welt ist heiter, kritische Reflexion hat maximal die Form überdimensiona- ler Wollzöpfe, die pittoresk von der Dec- ke hängen. Dafür arbeiten hier fast nur Frauen, hochgradig motiviert und im Ausland ausgebildet. „Es ist ein Vorur- teil, dass Frauen in Saudi-Arabien be- nachteiligt sind“, sagt al-Sultan. „Es stimmt einfach nicht. Die Regierung und unsere Familien unterstützen uns in un- serer Unabhängigkeit. Väter sind stolz und ermutigen ihre Töchter, wenn sie Künstlerinnen werden wollen.“

 

Das Kulturministerium betreut in diesem Jahr auch den Pavillon Saudi-Arabiens auf der Biennale von Venedig. Früher waren dort junge saudische Künstler nur im Rahmen des globalen Ausstellungsprojekts „Edge of Arabia“ zu sehen, eine Initiative der Künstler Ahmed Mater und Abdulnasser Gharem, deren Werke sich ebenfalls im Windschatten der abstrakten arabischen Tradition bewegen, aber die es früh in den internationalen Kunstbetrieb schaff- ten. Mit ihrem Projekt halfen sie bereits vor 15 Jahren, die kulturelle Agenda eines Landes im Aufbruch neu zu definieren.

 

Nun hat Riad selbst gerade, in einer Halle neben dem Skulpturenpark, eine Biennale eröffnet – der Klassiker, wenn ein Land zur Kunstdestination aufstei- gen will. Kuratiert hat sie Philip Tinari, der Direktor des UCCA in Peking, eines Kunstmuseums, gegründet von den bel- gischen Sammlern Guy und Myriam Ul- lens. Die meisten der 40 Werke stammen von saudischen, international ausgebildeten Künstlern. In Europa bekannte Namen wie Simon Denny, Timur Si-Qin und Larry Bell sind auch dabei. Zum Rahmenprogramm wurden Kuratoren wie Andrea Lissoni vom Haus der Kunst in München sowie die neuen Direktoren des Hamburger Bahnhofs in Berlin, Sam Bardaouil und Till Fellrath, eingeladen.

 

So schön diese Aufbruchsstimmung ist: Das Lächeln, mit dem das Land aus seinem Schattendasein tritt, ist mit Vor- sicht zu erwidern. Es ist wie immer, wenn restriktive Staaten sich dem We- sten öffnen und Kunst als Vehikel benut- zen, um Weltoffenheit, Geld und Intel- lekt zu demonstrieren und so ihre Au- ßenwahrnehmung nach eigenen Maßstäben zu formen. Sobald Kunst psychologisch oder politisch beunruhigend wird, schiebt man ihr den Riegel vor, wie in Russland bei Pussy Riot oder in China bei Ai Weiwei. Widerständige Kunst be- gegnet einem an den offiziellen Orten Saudi-Arabiens nicht.