Interview mit Till Fellrath und Sam Bardaouil
/ art. Das Kunstmagazin

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»Museen müssen offene Räume bleiben«

 

Till Fellrath und Sam Bardaouil, die Direktoren des Hamburger Bahnhofs, über die Frage, wie sich ein Gegenwartskunstmuseum gegenüber politisch aufgeheizten Diskursen gleichzeitig öffnen und abgrenzen kann

 

Das Thema Boykott beherrscht seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 die Kunstwelt. Der Chefredakteur der amerikanischen Zeitschrift Artforum verlor seinen Posten, nachdem er 12 Tage später einen offenen Brief zur „Unterstützung der Befreiung Palästinas“ publiziert hatte, unterzeichnet von zahlreichen Akteuren des internationalen Kunstbetriebs. Zu ihnen gehörte auch die Künstlerin Laurie Anderson, die im Frühjahr ihre Professur an der Folkwang Universität der Künste in Essen absagte: Nach ihrer Unterstützung eines „Aufrufs gegen Apartheid“ von palästinensischen Künstlern hatte man sie dort zu ihrer politischen Haltung befragt, was sie sich nicht gefallen lassen wollte. In Essen war es auch, wo am Folkwang Museum eine Zusammenarbeit mit der Kuratorin Anais Duplan abgesagt wurde, deren aggressive, anti-israelische Instagram-Posts für das Museum inakzeptabel waren. Und so geht es immer weiter: Eine Empörung jagt die nächste, ein Boykottaufruf folgt dem anderen. Die Fronten werden härter, Gespräche finden nicht statt. Bereits die letzte Documenta zeigte, wie sehr die Kunstwelt in den Israel-Palästina-Konflikt verwickelt ist: Die Nähe des indonesischen Kuratorenteams Ruangrupa zu der anti-israelischen, inzwischen vom Deutschen Bundestag als antisemitisch eingestuften BDS-Bewegung, die im Kunstbetrieb tausende Anhänger zählt, wirkt heute wie ein Auftakt zu den Protesten und Absagen, die besonders den deutschen Kunstbetrieb betreffen – der inzwischen, aufgrund der Debatte um die Antidiskriminierungsklausel, gerne gleich selbst gecancelt wird: Internationale Künstler ziehen ihre Werke aus öffentlichen Ausstellungshäusern zurück, aus Protest gegen Deutschlands Israelpolitik, während Pro-Palästina-Aktionen bereits eine ganze Performance im Hamburger Bahnhof in Berlin zum Erliegen brachte. Was all das für ein Museum bedeutet und wie man mit solchen Herausforderungen umgeht, erklären dessen Direktoren Till Fellrath und Sam Bardouil im Interview.

 

Museen waren in letzter Zeit Ziel aggressiver Aktivistenproteste – darunter auch der Hamburger Bahnhof während der Performance von Tania Bruguera: einer 100-stündigen Lesung aus Hannah Arendts Hauptwerk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, das um die Entstehung von Totalitarismus, Antisemitismus und Rassismus kreist. Die Lesung wurde von Pro-Palästina-Aktivisten massiv gestört und musste abgebrochen werden. Wie nehmen Sie solche Aktionen wahr, die offensichtlich nicht auf Dialog, sondern auf Konfrontation abzielen – was sogar zum Ende einer Kunstaktion führen kann?

 

Es ist sehr bedauerlich, wenn kontroverse Meinungen nicht mehr ausdiskutiert, sondern Menschen niedergebrüllt werden. Umso gefährlicher ist es, wenn das dazu führt, dass offene und freie Räume, wie es Museen zeitgenössischer Kunst sind, in Frage gestellt werden. Man kann Institutionen, in denen es solche Vorfälle gibt, bezüglich geltender Sicherheitskonzepte hinterfragen. Aber am Ende müssen vor allem diejenigen, die lauthals Menschen rassistisch und antisemitisch beleidigen, zur Rechenschaft gezogen werden. Unsere Gesellschaft muss sich die Frage stellen, von wem die Gefährdung unserer freiheitlichen Grundordnung ausgeht – sind es die Kulturinstitution oder sind es nicht vielmehr diejenigen, die diese Institutionen angreifen und mit strafrechtlich relevanten Parolen durch die Gesellschaft ziehen?

 

Welche Konsequenzen haben Sie nach diesem Vorfall gezogen? Sind Sie auf weitere Störungen vorbereitet und wie wollen Sie damit umgehen?

 

Je mehr sich Institutionen für ihr Publikum öffnen und in einen Dialog treten, umso mehr finden sich auch die gegenwärtigen Konflikte der Gesellschaft in ihnen wieder. Wir haben unsere geltenden Sicherheitskonzepte angepasst und arbeiten bei öffentlichen Veranstaltungen künftig auch mit Awareness-Teams. Ebenso sind wir im Austausch mit vielen Kolleg*innen zu genau diesen Fragen, um Erfahrungen auszutauschen und gemeinsame Strategien zu erörtern. Museen sind offene Räume und müssen dies auch bleiben. Wir wünschen uns, dass uns die Politik mit zusätzlichen Ressourcen unterstützt, um beispielsweise besondere Schulungen der Mitarbeiter*innen zu genau diesen Themen zu ermöglichen oder andere Sicherheitsmaßnahmen kurzfristig umsetzen zu können. 

 

Wie Till Fellrath es in einem Interview mit dem Deutschlandfunk ausdrückte: Museen sind offene Räume für Toleranz, und es gibt keinen Raum für Rassismus und Antisemitismus. Bedeutet das, dass Sie bestimmte Kunstwerke oder Veranstaltungen „canceln“ müssen, die so etwas implizieren könnten? Oder ist das Museum nicht gerade ein Ort, der selbst fragwürdige Bilder zeigen und kontextualisieren muss, um sie zu diskutieren? Und wo ziehen Sie hier die Grenze – wann ist etwas ein „No Go“ und wann ist es eine gute Möglichkeit, dem Raum zu geben und mit dem Reden zu beginnen?

 

Selbstverständlich können Kunstwerke oder Veranstaltungen, die klar gegen die geltenden Gesetze verstoßen, nicht gezeigt werden. Das Grundgesetz, das in diesem Jahr 75 Jahre seines Bestehens feiert, ist da ganz eindeutig. Die Kunst- und Meinungsfreiheit ist in Artikel 5 eindeutig geschützt, aber es verbietet eindeutig die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, Religion, oder Herkunft. Kontroverse Standpunkte zu diskutieren und diese Diskussionen in einem respektvollen Rahmen innerhalb der rechtlichen Grundlagen zu ermöglichen, ist eine Kernaufgabe von öffentlichen Museen – und ein Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft. Dies muss jeden Tag neu gelebt werden, und es liegt an jedem einzelnen von uns, genau diese Konflikte innerhalb dieser Spielregeln auszutragen und anderen Standpunkten und Lebensrealitäten offen zuzuhören.

 

Zensuren, Boykotte und Proteste in verschiedene Richtungen sind Herausforderungen, mit denen Museen heute konfrontiert sind. Glauben Sie, dass man noch Ausstellungen machen kann, die sich ausschließlich mit Kunst befassen – die ohne diesen politischen Kontext existieren können?

 

Bei einem Museum zeitgenössischer Kunst kann es keine Trennung zum politischen Kontext geben. Künstler*innen sind genauso Teil unserer Gesellschaft wie jemand, der die Ausstellung besucht oder in den Medien darüber berichtet. Politische Themen und kontroverse Auseinandersetzungen sind somit automatisch der Rahmen für das Programm einer Institution. Es ist die Hauptaufgabe eines diversen und inklusiven Museums, Menschen zusammenzubringen und einen respektvollen Dialograum zu ermöglichen. Genau dies ist gerade möglich, indem man zeitgenössischer Kunst begegnet. Gerade die Kunst kann Zustände ausdrücken, die sich nicht mehr in Worte fassen lassen.