Eine neue Generation von Künstlern feiert mit einer Doppelausstellung in Turin und London die digitale Revolution der Malerei. Ihre Version der Abstraktion: Schönheit, Style und Sexyness. Gesine Borcherdt über eine Kunst, die aussieht wie Schulterzucken.
art. Das Kunstmagazin – 26. November 2013
Es gibt vieles, was man der Ausstellung "Beware Wet Paint" vorwerfen könnte: Beliebigkeit, denn warum zeigt man ausgerechnet diese Künstler und keine anderen? Theorieferne, denn aus Wandtext-Schlagworten wie Prozessorientierung, digitale Technologie und urbane Ästhetik entsteht noch keine neue Malereibewegung. Und Marktaffinität: Die Namen David Ostrowski, Oscar Murillo und Parker Ito kennt man vor allem aus Auktionsberichten, die versuchen zu erklären, warum sich die abstrakte Malerei der Thirtysomethings derzeit in sechsstellige Höhen schraubt.
Doch ob hinter dem Hype nun ein Netzwerk aus Händlern und Sammlern steckt, die den Banker-Begriff "Flipping" in den Kunstmarkt überführt haben, wo atelierfrische Bilder jetzt genauso schnell ihre Besitzer wechseln wie Aktien, oder ob sich abstrakte Malerei gerade generell gut verkauft, weil sie smart, dekorativ und zeitlos ist – "Beware Wet Paint" gibt als Doppelausstellung im Londoner ICA und der Fondazione Sandretto Re Rebaudengo in Turin die wohl bisher interessanteste Übersicht darüber, wie sich die digitale Revolution in die Malerei geschlichen hat.
Als Schlüsselfigur dafür wird Christopher Wool heranzitiert. Seit Mitte der achtziger Jahre analysiert er piktorale Parameter, ohne dass seine Arbeiten jemals intellektuell wirken. Bekannt für seine schwarzweißen, triefenden Wortbilder, die einen konfrontieren können wie Werbeslogans auf Crystal Meth, zeigt er hier Leinwände, auf denen Fotos seiner früheren, gesprayten und verwischten Bilder abgedruckt sind. Es ist dieser lapidare Umgang mit mechanischer Reproduktion, der auch die jüngeren Künstler mit Bildern und Diskursen ganz selbstverständlich hantieren lässt.
Parker Ito etwa hat für sein "Inkjet Painting No.5" (2014) ein pointillistisches Allover auf Aluminium aufgetragen, das eine Landschaft Pierre Bonnards, aber noch eher ein gepixeltes Foto evoziert. Auch für die bunte Abstraktion aus Modellierpaste "Untitled (Soft Touch)" (2014) greift der selbsternannte "YIBA (Young Internet-Based Artist)" auf den Frauenkopf einer Webseite zurück, so dass das Ganze aussieht wie ein Karel Appel aus Gummi. Ähnlich bricht Pamela Rosenkranz die Heroen der Historie bis zur Banalität herunter. Acrylfarbe in Hauttönen ist energisch auf isothermen Rettungsdecken verwischt – wilde Gesten und großer Geist verschwinden in synthetischen Fertigmaterialien. Diesen coolen Postinternet-Look tragen auch Nathan Hyldens Aluminiumbilder. Fotos von Schatten aus seinem Studio sind mehrschichtig aufgedruckt und zusätzlich mit Farbe besprüht und bepinselt. Die Resultate wirken wie die aller Künstlern in der Schau: slick und anonym – es geht um Bearbeitungsprozesse und visuelle Effekte, alles Subjektive ist ausgelöscht.
Der Vorzeigekünstler dieser Generation ist David Ostrowski, dem in Turin ein eigener Raum gewidmet ist: In seinen schmutzigweißen Bildern markieren einzelne Sprühstöße das, was er selbst als "Scheitern" umschreibt – seine Bildserie "F" steht für "Failed" oder "Fehlermalerei". Der Albert-Oehlen-Schüler hat dazu eigens einen Mythos kreiert: Bei einem Brand in seinem Kölner Atelier blieb nur ein einziges Bild übrig. Es war der Beginn einer abstrakten Malerei, die eher von MTV und dem Internet beeinflusst ist als von Kasimir Malewitsch oder Ellsworth Kelly. Wo Tomma Abts und Sergej Jensen in den Nuller Jahren die Utopien der Moderne reanimierten und nach neuen formalistischen Debatten suchten, kommt Ostrowskis Credo sehr viel simpler daher: "Für mich ist Malerei ein Versuch, der Bedeutungslosigkeit Bedeutung zu geben. Ich interessiere mich nicht für das Verstehen. Für mich geht es ums Nichtverstehen."
Tatsächlich wirken seine Leinwände wie Löschpapier, das die Malereigeschichte einfach weggesogen hat. Ostrowskis Weg aus der abstrakten Tradition ist Pop. Es geht um Schönheit, Style und Sexyness statt um Sublimes, Schnoddriges oder Surreales. Der Vorteil: Wer so nihilistisch ist, kann sich ganz entspannt beim Vokabular der Vergangenheit bedienen. Abstrakter Expressionismus, Hard Edge und Bad Painting sind auf der Festplatte einer Kunst abgelegt, die aussieht wie Schulterzucken. Yves Klein, Jackson Pollock oder Günther Förg sind keine Gesprächspartner mehr, sondern nur noch Beispiele dafür, was man als junger Maler so alles über Bord werfen kann. Dieser Lakonismus vermittelt ein Freiheitsgefühl. Anders als ihre Vorgänger navigiert die neue Generation schnell und selbstbestimmt durch ein uraltes Medium, ohne sich daran abzuarbeiten. Bilder werden nicht gemalt, sondern produziert. Es ist eine kühle Malerei, doch sie geht nie unter Null. Vielleicht ist es gerade das, was ihr fehlt.
© Gesine Borcherdt