26. März – 2. Mai 2015
CAPRI, Düsseldorf
Die Arbeiten des Videokünstlers Ali Kazma kreisen um ein für das Medium Film zentrales Thema: Zeit. Die von ihm gewählten Orte und Szenen zeigen entweder Menschen, die stumm und konzentriert bei der Arbeit sind – in einer Fabrik, bei einer Operation oder einer Theaterprobe – oder Räume, die lediglich menschliche Spuren aufweisen. Allen Arbeiten wohnt ein existenzieller Zug inne, der von dem ursprünglichsten Grundbedürfnis des Menschen zeugt: Dem Kampf gegen die Vergänglichkeit – bei dem gleichzeitigen Wissen, dass man nur verlieren kann. "Absence" (2011) steht stellvertretend für diesen Ansatz. Die Zweikanal-Videoinstallation zeigt den stillgelegten Bunker einer niederländischen Nato-Station. Die Aufnahmen vermitteln in der ruhigen, kristallinen Klarheit von Tabelaux Vivants eine entleerte Architektur, die von militärischem Präzisionsdrang geprägt ist und von der Natur zurückerobert wurde. Auf fast unheimliche Weise ist dabei eine humane Präsenz spürbar, so wie es verlassene Orte oft an sich haben. Durch die Wahl der Bildausschnitte und die Konzentration auf scheinbar beiläufige Raumsituationen gelingt Kazma jedoch eine minimalistische, streng rhythmisierte Choreographie, die sich ohne jede Handlung und Höhepunkt zusammensetzt. Die hochtechnisierte Energie, die den Ort einst prägte, wird dabei wie in einer Zeitkapsel eingefangen, der Verfall zum Vanitasbild ästhetisiert. Diese Transformation verleiht der Arbeit eine retardierende und zugleich skulpturale Qualität, die der potentiellen Schnelligkeit des Mediums Film zuwiderläuft. In seinem berühmten Text „Zeit und Freiheit“ (1911) versucht Henri Bergson in Anlehnung an Albert Einstein, „gegen die Vorherrschaft des physikalischen Zeitbegriffs zu einem ursprünglicheren Zeitbegriff zu gelangen, der eine Beschreibung von spontanen Entwicklungen ermöglichen soll.“ (Gilles Deleuze, 1998). Anders als die Deterministen geht Bergson davon aus, dass sich freies Handeln in der ablaufenden Zeit vollzieht und nicht in Bezug auf fertige Handlungen einer rekonstruierbaren Vergangenheit. Um ursprüngliche Zeit – also reine Dauer – anschaulich zu machen, gelte es, sie „zu geometrisieren“, so dass „wie in einem Raum alle psychischen Zustände und Vorgänge als nebeneinander geordnet auftreten“. Der Film als Aneinanderreihung starrer Momentbilder erschien Bergson als Beweis für die ständige Durchmischung sich wandelnder Abfolgen und Gleichzeitigkeit, Dauer und Ausdehnung. "Absence" macht diese Sichtweise auf fast exemplarische Weise deutlich. Die Vergangenheit wird nicht rekonstruiert sondern der Wandel der Dinge räumlich dargestellt. Der Bunker wird zum Anti-Monument: An ihm manifestiert sich der Niedergang einer technischen Konstruktion samt gesellschaftlicher Werteordnung ebenso wie die Kraft der Natur, die für ständigen Wandel und Neuerschaffung steht – den genuinen Eigenschaften von Zeit. Ali Kazma wurde 1971 in Istanbul geboren und studierte Fotografie und Film in London und New York. 2010 erhielt er den Nam June Paik Award, den internationalen Medienkunstpreis der Kunststiftung NRW. Seine Arbeiten wurden u.a. gezeigt auf den Biennalen in Istanbul (2001, 2007, 2011), Lyon (2007) und Sao Paolo (2012). 2013 vertrat er die Türkei auf der Biennale von Venedig. Von Januar bis März 2015 zeigt ARTER, Istanbuls wichtigste Institution für zeitgenössische Kunst, seine erste umfassende Einzelausstellung. Ali Kazma, Absence, Video, 2011
Photos by Achim Kukulies, Düsseldorf
Courtesy by the artist; CAPRI; photo: Achim Kukulies