Morsezeichen eines Seelenschreibers
/ Die Welt

Cerith Wyn Evans in der Galerie Neu in Berlin

Die Welt, 24. September 2016

Es brizzelt und rauscht, summt und knackt. Dann plötzlich Töne, eine Art Melodie. Und schließlich wieder dieses intergalaktische Rauschen – klingt es so, wenn man durch schwarze Löcher fliegt? Die Andeutung einer solchen Sogwirkung ist gerade in der Galerie Neu in Berlin zu spüren. Im zentralen Raum steht man zwischen Glasscheiben, die von der Decke herabschweben und die Form zweier verschachtelter Oktogone bilden. Der galaktische Sound dringt aus kleinen Lautsprechern, die auf dem Glas angebracht sind – die Scheibe wird zum Resonanzkörper, der Raum zur Skulptur.

Es ist diese minimalistische Geisterhaftigkeit, mit der der walisische Künstler Cerith Wyn Evans, Jahrgang 1958, Räume immer wieder in Gedankenspiele übersetzt. An den Wänden läuft eine Neonschrift entlang (sie stammt aus seiner großen Einzelschau vor zwei Jahren in der Londoner Serpentine Gallery) und verweist auf schwarze Löcher, jedoch ohne wissenschaftlich konkret zu werden: „Till heaven is all peppered with black holes“ heißt es da – Worte des Schriftstellers James Merrill, der sich seine Texte teils mithilfe einer Ouija-Tafel diktieren ließ: Ein „Seelenschreiber“, durch den man mit einiger Fantasie wie beim Gläserrücken mit Geistern in Kontakt treten kann. Das, und sich schwarze Löcher als Pfefferkörner am Himmel vorzustellen, passt in den kristallinen, spirituell-melancholischen Kosmos, für den Wyn Evans seit Mitte der Neunzigerjahre bekannt ist.

Obwohl er gelegentlich mit den Young British Artists in Verbindung gebracht wird, hat er mit deren Hang zur Sensation und zum Exhibitionismus nichts gemein. Seine Leuchtschriftzüge, Grünpflanzen oder säulenartigen Bauelemente verweisen in subtiler Verstiegenheit auf Literatur, Philosophie, Astrologie und andere Künstler. Im vorderen Raum der Galerie hängen zum Beispiel zwei Neonschriftzüge von der Decke, die das Wort „heute“ in der Handschrift Hanne Darbovens abbilden. Der Schriftzug entstammt dem Tagebuch der radikalen Konzeptkunstpionierin. Man liest ihn spiegelverkehrt, die Fenster der Galerie reflektieren ihn und der Neonfries leuchtet in den Glasscheiben auf: Die Galerie wird zum Spiegelkabinett, zum semimateriellen Identitätsrätsel. Doch wenn alles ineinander verschwimmt, was gilt dann noch?

Das Faszinierende an Wyn Evans’ ästhetischem Universum ist die Mischung aus lyrischen Andeutungen und räumlicher Unbestimmtheit, die eine Art überirdische Atmosphäre kreiert. Was im ersten Moment so konzeptionell und kühl erscheint, elegant oder gar luxuriös – wie etwa seine berühmten Kronleuchter, die lautlos Lichtsignale mit Satzteilen vor sich hin morsen –, löst sich auf in doppelbödigen, romantischen Assoziationen. Sie schweben federleicht durch den Raum, umkreisen den Betrachter beinahe unmerklich. Glas und Licht werden zu Bedeutungsträgern, ohne jemals eine Aussage zu treffen. Wenn man bedenkt, wie viele Künstler sich heute an naturwissenschaftliche Erkenntnisse andocken und dabei oft wie tüftelnde Ingenieure vorgehen, muss man nur auf Wyn Evans blicken, um zu sehen, dass man von einem Besuch im Cern auch nur die Vorstellung des Gottesteilchens mitbringen kann, das allen existierenden Objekten ihre Form verleiht. Und wenn Wyn Evans mit einem Komponisten zusammenarbeitet, um dann dessen vierstündiges Stück „Galaxy and Space Noises“ als Loop auf den Glasscheiben abzuspielen, so geht es eben nicht um die Illustration einer Urknalltheorie, sondern um die Idee kosmischer Kommunikation. Wyn Evans liefert keine Informationen, sondern ein komplexes Spiel aus Gedanken und Figuren, die als ästhetische Geister einen Raum abstecken. (Die Preise reichen von 12.000 bis 340.000 Euro.)