artnet – 18. Januar 2012
Als Judy Lybke vor einem Jahr seinen Rauswurf aus der Art Basel verkündete, ging ein Aufschrei durch die Presse. Immerhin sei Brad Pitt sein Kunde, und mit der „Neuen Leipziger Schule“ habe er eine Weltmarke etabliert, erboste sich „DIE WELT“ und witterte einen Komplott hinter der Jury-Entscheidung – die habe nun, so die „FAZ“, die Art Basel in eine prekäre Lage gebracht. Auch Lybke selbst glaubte, persönliche statt professionelle Vorbehalte hätten ihn von der weltweit wichtigsten Kunstmesse ausgeschlossen. Dass seine Standpräsentationen nicht den Qualitätskriterien der Art Basel entsprachen, wollte sich kaum jemand vorstellen.
In diesem Jahr ist alles anders. Eigen + Art ist wieder mit von der Partie. Sofort stellt sich die Frage: Ist die Jury eingeknickt vor dem Druck der Presse? Oder hat sich Judy Lybke von seinen Leipziger Lorbeeren erhoben, um an Galerieprogramm und Standkonzept zu feilen? Schließlich stellt er zum Jahresauftakt gleich fünf Künstler vor, die – noch? – nicht auf seiner Liste stehen. Und seine Stände auf der Londoner Frieze Art Fair und Art Basel Miami Beach wurden allgemein als Bewerbung für die Hauptmesse im Juni gewertet. Dass er bei seinen jüngsten Auftritten also nicht den Kassenschlagern Neo Rauch und Martin Eder den Ehrenplatz einräumte, sondern den spröderen Brüdern Carsten und Olaf Nicolai, war ein Zeichen für Flexibilität, für die Kunst und gegen den reinen Kommerz – mit dem seine Malerriege auch heute noch häufig gleichgesetzt wird. Für das Standkonzept, das er nun an die Art 43 Basel geschickt hat, ließ die Jury also offenbar Gnade walten.
Ist Lybke nun geläutert? Hat der Rauswurf als ästhetische Erziehungsmaßnahme gefruchtet? Oder besitzt die Jury tatsächlich nicht genügend Rückgrat, um an ihrer Entscheidung von 2011 festzuhalten? Schließlich sahen die Eigen + Art-Ständenoch auf der letzten ARCOmadrid und der Art Cologne so bunt zusammengewürfelt aus wie eh und je. Und wer Lybke kennt, der weiß, dass er vor Kritik nicht in die Knie geht, sondern sich vor seine Künstler wirft wie die Löwin vor ihre Jungen – was ihn jenseits von Qualitätsfragen zu einem glaubwürdigen Galeristen macht.
Doch selbst, wenn er im Sommer mit eilig eingemeindeten Neuzugängen, den Nicolais oder einer komplett neuen Idee antreten wird, kann er mit seinem Galerieprofil dem konzeptlastigen Jurygusto nur bedingt nachkommen. Die Frage ist nur: Wie weit darf sich ein Galerist einer Geschmackspolizei beugen, ohne sich zu verbiegen? Und wo darf er dann noch das zeigen, was er eigentlich will? Oder will er das am Ende selber gar nicht mehr? Hat die Jury dann ein Bewusstsein für Qualität geschaffen oder diktiert sie ein ästhetisches Dogma? Lybkes Kommentar dazu fällt ungewohnt minimalistisch aus: „Schaut Euch im Juni meinen Stand an.“ Auch Messechef Marc Spiegler bleibt professionell: „Wir freuen uns auf die Präsentation am Stand von Eigen + Art, so wie wir uns auf alle Präsentationen unserer Galerien freuen.“
Eines ist klar: Das letzte Jahr hat Lybke zum Nachdenken gebracht – gut, wenn eine Jury das leisten kann. Der Preis dafür ist, dass sie sich jetzt mit dem Vorwurf der Feigheit herumschlagen muss; bei einem erneuten Ausschluss von Eigen + Art hätte man sie wohl als vollends arrogant eingestuft. In jedem Fall kann man Lybkes Basel-Stand 2012 als Bewährungsprobe werten – und als psychologischen Schachzug. Die Botschaft der Messe lautet: Eine ausjurierte Galerie kann schon im nächsten Jahr zurückkommen, wenn sie sich Kritik zu Herzen nimmt. Das zeigten schon früher die Beispiele Greene Naftali aus New York oder Nicolai Wallner aus Kopenhagen. Nur gab es damals kein Geschrei. Die Art Basel demonstriert also bei aller Hochnäsigkeit, die von der Jury durchaus gerne mal herüberschwappt, eine Offenheit, auf die wohl niemand verzichten möchte. Übrigens ist 2012 auch Mehdi Chouakri wieder dabei, der letztes Jahr ebenfalls aussetzen musste. Nachdem er mehrmals für die kuratierten Bereiche Art Statements und Art Feature zugelassen war, wurde er jetzt erstmals in die Hauptsektion aufgenommen – ganz ohne die Pressetrommel zu rühren. Giti Nourbakhsch allerdings, die nach ihrem Ausschluss 2011 gegen die Jury wetterte, muss eine weitere Ehrenrunde drehen.
© Gesine Borcherdt