Elizabeth Peyton
/ Die Welt

Pünktlich zur Salzburger Festspielsaison zeigt die Galerie Thaddaeus Ropac ihre erste Ausstellung mit Elizabeth Peyton, eine der teuersten Malerinnen ihrer Generation. Zur Eröffnung erscheint sie im neongelben Rüschenkleid und Plateausandalen. Sie wirkt wie ein verträumter Punk, es ist die Nacht der Mondfinsternis. Beim Gespräch im Villensitz der Galerie erzählt sie mit sanfter Stimme von der Sehnsucht nach Schönheit und Liebe.

WELT:

 

Der Titel Ihrer ersten Ausstellung in der Galerie Ropac lautet „Eventyr“. Was bedeutet das?

 

Elizabeth Peyton:

 

Auf dem Flughafen in Kopenhagen gibt es eine neue Lounge, die Eventyr Lounge. Ich fragte, was das Wort bedeutet – es heißt sowohl Märchen als auch Abenteuer. Ich fand es fantastisch, dass ein Wort diese zwei Bedeutungen vereint und dass die Leute es noch immer verwenden! Ich sehnte mich irgendwie nach diesem Gefühl. Etwa zur selben Zeit empfahl mir ein Freund, Walt Disneys Originalversion von „Schneewittchen“ anzusehen, den Animationsfilm von 1937. Dessen Schönheit hat mich sehr berührt: die Zeichnungen, und überhaupt die ganze Darstellung der Märchenwelt – wie zeigt man eine Hexe in Flammen in einem Spiegel? Wie bildet man die dunkle und die helle Welt ab? Der Film ist nicht gerade niedlich. Aber es gelingt ihm, die beängstigenden Momente etwas erträglicher zu machen, wie beruhigender Balsam. Ich kenne Salzburg nicht sehr gut, aber habe in den letzten Jahren die Opernfestspiele besucht. Da fiel mir dieses Märchengefühl der Stadt auf. Der Ausstellungstitel schien mir dazu passend.

 

Auch in Ihrer Arbeit verschränken sich Geschichte und Gegenwart. Als Sie 1993 Ihre erste Ausstellung in einem Zimmer im „Chelsea Hotel“ hatten, zeigten Sie Bilder von Napoleon und Ludwig II. Nicht gerade ein populäres Thema in der zeitgenössischen Kunst …

 

Es gibt keine Regeln in der Kunst. Ob das, was man tut, populär ist oder nicht, ist egal. Es geht darum, das zu tun, von dem man meint, es tun zu müssen. Als ich die Bilder mit historischen Figuren malte, hatte ich das Gefühl, dass etwas fehlt. Ich las damals viel und fand meine Helden in Büchern. Ich begriff, dass Geschichte sich in Menschen manifestiert. Sie abzubilden bedeutete also auch, Bilder von ihrer Zeit zu malen. Es gab damals keine solche Malerei – sie war einfach nicht okay. Ich versuchte also einen Weg zu finden, der okay war. Diese Herausforderung nahm ich gerne an: etwas über Liebe zu machen, über Zeit und meine Gefühle zu bestimmten Menschen, gesehen durch einen starken Filter. Ich verwendete eine sehr reduzierte Bildsprache, und manche Leute reagierten darauf. Das war jedoch keine bewusste Entscheidung. Es fühlte sich einfach richtig an.

 

Was macht eine Person so interessant, dass Sie sie malen möchten?

 

Ich bin keine Wissenschaftlerin und suche das Universum nicht nach Menschen ab, die mir geeignet erscheinen. Nein, es ist viel subjektiver. Je näher ich meinen eigenen Gefühlen komme, desto mehr hoffe ich, mich mit einem größeren Gefühl um mich herum zu verbinden. Wenn ich anfange, mich für eine Person zu begeistern und von dem, was sie tut, inspiriert bin, möchte ich mehr über sie erfahren. Dann verbringe ich meist viel Zeit mit ihr, höre ihre Musik oder betrachte ihre Kunst, was immer mir weiterhilft. Das ist der Anfang. Alles andere, was dann beim Malen passiert, ist eine Reaktion auf die Bildoberfläche. Es gibt keine besondere Geschichte.

 

Manche Menschen – Freunde aus der Kunstszene oder prominente Bekannte wie Leonardo DiCaprio – sitzen für Sie Modell. Andere, die Sie vielleicht nicht persönlich kennen – beispielsweise der 1979 verstorbene Sänger Sid Vicious –, malen Sie anhand von Fotos. Was ist der Unterschied?

 

Es gibt eigentlich keinen. Ob ich die Person kenne oder nicht, ist im Grunde egal. Technisch gesehen mag ich die Unmittelbarkeit, wenn jemand mir Modell sitzt. Viele Entscheidungen muss man dann sehr schnell treffen, wie wenn man Blumen unter starkem Sonnenlicht malt. Auch bei Menschen merkt man, wie schnell sich die Situation verändert! Manchmal fotografiere ich die Person auch und mache dann Fotos von den Fotos am Computer, weil das die Farben akzentuiert. Doch das Bild hat danach sein Eigenleben. Auch die Stimme der Person ist sehr wichtig. Ich merke, dass ein Bild fast fertig ist, wenn ich anfange, die Stimme zu hören … In meinem Kopf entsteht dann eine Synästhesie, bei der sich zwei Sinne verbinden. Ich könnte nie ein Bild von jemandem malen, dessen Stimme ich noch nie gehört habe.

 

Was ist denn so interessant an Angela Merkels Stimme, die Sie vergangenes Jahr gemalt haben?

 

Ich habe mir viele Reden von ihr angehört, während ich an ihrem Porträt arbeitete. Ihre Stimme passt zu ihr. Sie klingt sehr ehrlich.

 

Nun ja, letztendlich ist Malerei eben Illusion … Viele Bilder in der Ausstellung wirken offen und locker, andere haben fast einen pastosen Touch. Was ist an Ihren neuen Arbeiten anders als früher?

 

Ich werde besser darin, loszulassen und das Bild nicht zu zwingen, etwas zu beschreiben. Ich lasse der Farbe ihr Eigenleben. Das ist sehr wichtig: Das Bild muss zeigen, was ich sehe und dann lasse ich es eigene Entscheidungen treffen. Es gibt ein schönes Zitat von Philip Glass, der dauernd zum Minimalismus befragt wird – was ihn offenbar stört, da er dieses Wort nie benutzen würde. Also sagt er sinngemäß: Tja, ich musste alles aus der Kiste holen, um dann zu entscheiden, was ich wieder hineintue. Das hatte eine große Bedeutung für mich. Vor einigen Jahren waren meine Bilder fast leer, es ging um Linien und weißen Raum. Das wurde ziemlich extrem, weshalb sie jetzt wieder voller sind. Ich fand einen Weg, Farbe so auf die Leinwand zu bringen, dass ich mich wohlfühle. Und es gibt viele Bereiche voller dichter Farbe. Das hätte ich früher nie zugelassen, ohne es kitschig zu finden!

 

Wie passt diese neue Arbeitsweise zu den Bildthemen in der Ausstellung?

 

Ich weiß vorher nie, wer in einer Ausstellung sein wird. Aber ich wusste, dass der japanische Eiskunstläufer Yuzuru Hanyu diesmal der Ausgangspunkt sein würde. Seine Bewegungen haben etwas zutiefst Hypnotisches – es ist diese Art, das „andere“ hineinzulassen. Ich glaube, in der Kunst und im Sport braucht man dieses Element. Es hat mit Talent zu tun, aber auch mit dem Wissen, wie man einen Teil von sich entspannt: Man muss sehr bewusst sein, um Momente des Unbewussten zu erleben.

 

Sie verwenden immer wieder verschiedene Techniken: Öl auf Leinwand, Linolschnitt, Radierung, Aquarell, Monotypie …

 

Ich springe gerne zwischen den Verfahren hin und her. Sie sind alle so verschieden! Malerei ist ein sehr langer Prozess. Der Linolschnitt ist stark reduziert: Eine Linie ist eine gute Methode, um etwas Figürliches darzustellen, ohne dass es zu direkt wirkt. Das bietet viel mehr Raum, ein Bild zu betreten.

 

Die Monotypie des Eiskunstläufers ist ungewöhnlich, da sie so großformatig ist. Normalerweise sind Ihre Formate eher klein …

 

Monotypien sind großartig! Ich kann Farbe in einer Weise auftragen, wie ich es in der Malerei nie tun würde – wenn ich sie so auf der Leinwand liegen ließe, würde das viel zu grell wirken. Aber in der Monotypie kann ich jede Menge Farbe auftragen, die dann in die vier oder fünf Tonnen schwere Druckerpresse geht – ich nenne sie „die zweite Künstlerin“. Das Verfahren verwandelt die Bildoberfläche in etwas, das ich mit Malerei nie erreichen würde. Außerdem gehe ich gerne in die Druckerei, weil ich hier viel ausprobieren kann. Es sind immer Leute dort, und weil ich ihre Zeit nicht verschwenden möchte, muss ich schnell arbeiten. Oft ist eine Grafik auch ein Anfang, um bestimmte Motive später in Malerei zu verwandeln.

 

Wie lange arbeiten Sie an einer Leinwand?

 

Das ist immer unterschiedlich. Manchmal bleibt ein Bild jahrelang im Atelier, dann wieder nur ein paar Monate.

 

Immer wieder tauchen in Ihren Bildern Musiker auf, von Kurt Cobain bis hin zu dem Opernsänger Jonas Kaufmann. Was bedeutet Ihnen Musik?

 

Musik ist, wie Malerei, ein Weg, viel Gefühl in eine Sache zu legen, das dann in ihr enthalten bleibt. Livemusik bleibt im Körper. Ähnlich geht es mir mit Malerei: Ich versuche, Liebe und Vergänglichkeit zu erhalten. Das Bild wird der Behälter dafür. Auch eine Oper drückt durch eine sehr reduzierte Sprache komplexe menschliche Dinge aus. Das hilft mir beim Malen.

 

Sehen Sie einen Sänger immer in Verbindung zu einer bestimmen Musik oder einem Komponisten – so wie Jonas Kaufmann zu Richard Wagner – oder blicken Sie auch auf die Person hinter dem Werk?

 

Ich sehe sie so, wie ich Elio und Oliver aus dem Film „Call me by your name“ gesehen habe. Ich war fasziniert davon, dass diese zwei Männer Schauspieler waren. Aber gleichzeitig küssten sie einander und erlebten das gemeinsam. Ja, ich sehe Armie Hammer und Timothée Chalamet als Künstler, aber auch als Filmcharaktere. Ihr Porträt nach dem Film zu betiteln, erschien mir jedoch angemessener, da er nun einmal die Quelle war. Der Film ist der Inbegriff eines Kunstwerks, das dir Zugang zu Gefühlen und Schönheit gibt, die du sonst vielleicht nie erfahren hättest ... Ich konnte nicht genug davon bekommen!

 

Ja, alles im Film kreist um Schönheit ... Genau wie Ihre Bilder und all die Quellen, die sie dafür verwenden. Was bedeutet Schönheit für Sie?

 

Ich sehe Schönheit als Lebenskraft. Ich halte immer meine Augen offen, und wenn ich sie entdecke, kann ich den Blick nicht mehr davon wenden. Wie das Bild mit dem Hund: Ich sah ihn im Fernsehen, beim Fitnesstraining im Hotel. Ich zappte durch die Kanäle und dann fotografierte ich ihn. Die Zärtlichkeit, mit der die Frau im Fernsehen ihn betrachtete, hatte etwas Besonderes ... Ich konnte nicht aufhören, das Foto anzusehen und malte es schließlich. Schönheit hat definitiv eine Kraft, die mir ein gutes Gefühl verleiht. Sie erregt mich. Sie lässt mich Liebe empfinden.

 

Ihre Bilder haben etwas zutiefst Menschliches. Sie vermitteln keine moralischen oder erzählerischen Botschaften, sondern lediglich unmittelbare Emotionen. Das findet man gerade nicht häufig in zeitgenössischer Kunst.

 

Ich habe das immer angestrebt. Und es scheint, als sei momentan ein guter Zeitpunkt, Bilder über Liebe und Schönheit zu malen. Auch „Call me by your name“ hätte nicht in einem besseren Moment erscheinen können – der Film hat wirklich jeden ins Mark getroffen. Offenbar sehnen sich die Menschen nach etwas, das sie besänftigt und hoffen lässt. Zumindest ergeht es mir so.