Wer vernetzt die globale Kunstszene? Junge Multitasker wie der Ausstellungsmacher und Start-up-Gründer Eugenio Re Rebaudengo. Eine Annäherung.
Welt am Sonntag - 28. Dezember 2014
Früher war alles besser. Sammler kauften Kunst, Galeristen verkauften sie, Kuratoren stellten sie aus, Kritiker schrieben darüber. Man wusste also ganz genau, mit wem man es zu tun hatte – oder glaubte es zumindest. Heute ist das anders. In einer rhizomartigen Kunstwelt, in der Menschen, Dinge und Informationen online leichter erreichbar sind als früher ein Apfel am Baum des Nachbarn, verschwimmen die Grenzen. Man kann das unlauter finden oder an Nepotismus denken, die Nase rümpfen und sich auf alte Werte berufen, auf damals, als die Welt noch überschaubar und natürlich völlig unkorrumpierbar war. Aber es nützt nichts: Die Systeme werden durchlässig.
Insofern ist es nur logisch, dass auch ein Prinz heute nicht einfach nur ein Prinz sein will. Eugenio Re Rebaudengo ist mehr als nur der Ahne eines der ältesten Adelsgeschlechter Italiens. Seine Mutter, Patrizia Sandretto Re Rebaudengo, hat in Turin eine gigantische Kunstsammlung aufgebaut. Mit Künstlern wie Damien Hirst, Maurizio Cattelan, Cindy Sherman oder Paul McCarthy fährt sie seit 23 Jahren einen dynamischen Kurs, der die Arte Povera als reduziert-intellektuelle Hofkunst Norditaliens von rechts überholt hat. Ihre Stiftung zeigt auf 3500 Quadratmetern Wechselausstellungen, ohne die Italiens Museumslandschaft ein gutes Stück von der Gegenwart abgeschnitten wäre. Momentan leuchten hier von den Wänden die coolen Bilder neuer abstrakter Maler wie Parker Ito, David Ostrowski, Isabelle Cornaro und Ned Vena, die am Auktionsmarkt teils sechsstellige Summen erzielen, aber auch Werke spannender Post-Internet-Künstler wie Korakrit Arunanondchai. "Beware Wet Paint" heißt die Schau – Vorsicht nasse Farbe.
Aus einer ähnlich legeren Haltung ist auch die Internetplattform Artuner entstanden, auf der Eugenio Re Rebaudengo, der vor zwei Jahren in London seinen Master of Business absolvierte, und befreundete Gastkuratoren virtuelle Ausstellungen zusammenstellen. Die Arbeiten sind verkäuflich. Man kann sie in einem digitalen Raum betrachten, in dem als Maßstabsmesser für zu Hause eine Corbusier-Liege steht. Gemälde von Ostrowski, Christian Rosa, aber auch Imi Knoebel "hängen" hier wie Flatscreens nebeneinander. Die Schau "Airports for Shadows and Dust" hat der Jungkurator Andrew Bonacina arrangiert. Seit er mit Artuner arbeitet, so erklärt die Webseite, ist er Chefkurator an David Chipperfields neuem Hepworth Wakefield Museum in Yorkshire. Ob dahinter nun eine Kausalität steckt oder reiner Zufall: Leute wie Bonacina und Ostrowski tun gut daran, mit Rebaudengo zu kooperieren. Dessen Kapital besteht nämlich nicht nur aus einem soliden Budget, sondern auch aus einem Netzwerk, das die Türen des Kunstbetriebs öffnet. So sitzt er unter anderem im Vorstand der eigenen Familienstiftung und ist Board Member der Tate Modern und der Whitechapel Art Gallery in London. Seinen 27. Geburtstag feierte er mit Starkuratoren wie Hans-Ulrich Obrist und Beatrix Ruf. Auch internationale Großgaleristen kennt er, seit er denken kann. "Ich bin in der Kunstwelt aufgewachsen und habe das Privileg, mit einflussreichen Leuten befreundet zu sein", erklärt Rebaudengo. "Künstler, die mir wichtig sind, kann ich damit auf meine eigene Weise fördern. Ich bin also kein passiver Sammler, sondern vernetze aktiv Künstler, Käufer und Kuratoren."
Rebaudengo statuiert mit Artuner das Exempel, den Begriff "Prosumer" im Kunstbetrieb zu etablieren. Wie bei Solarzellen auf dem eigenen Dach wird der Kunstkonsument jetzt Produzent: Der Sammler ist plötzlich Händler, der Kurator fungiert als Berater, der Künstler wird zum Netzwerker. Akteure aus Non-Profit-Institutionen, die sich eben noch sträubten, in kommerziellen Galerien Ausstellungen zu machen, treten nun ganz selbstverständlich als Teil eines Verkaufsnetzwerks auf. Ebenso wie Künstler, die sonst nur mit einer kleinen strengen Auswahl an Galerien arbeiten, nun für Artuner Bilder malen, an deren Verkäufen über die Plattform auch Rebaudengo beteiligt wird.
Die Idee dahinter ist smart. Alle Beteiligten profitieren von dem einfachen, effizienten und weitgehend deregulierten Netzwerk – und nehmen in Kauf, dass manche bislang ungeschriebenen Gesetze des Kunstbetriebs einfach mal außer Kraft gesetzt werden. Blauäugig ist dieser libertäre Ansatz trotzdem nicht: Am Ende geht es ums Geld. Artuner bündelt Marktkräfte und triggert ein neues Konsumverhalten im Kunstbetrieb – nämlich das, über Online-Plattformen schnell in eine Community zu kommen, in die einen die hermetischen Galerien oft erst nach monatelangem Vertrauensaufbau hineinlassen. Der Zugang zur Elite über die Website eines Prinzen – es gibt schlechtere Start-up-Ideen.
Noch wirkt Artuner etwas unterkomplex, was kuratorische Konzepte, Texte und Künstlerauswahl betrifft – und der sterile virtuelle Galerieraum hebt jede Idee von Aura aus den Angeln. Doch über Zulauf kann sich Rebaudengo nicht beklagen. Die meisten seiner Kunden sind zwischen 30 und 45 Jahre alt und kommen über Freunde und Familie. Oft fangen sie gerade erst an, sich für Kunst zu interessieren. "Bei der riesigen Menge an Künstlern und Galerien bieten wir Orientierung", sagt er. "Denn die Kunstwelt verändert sich extrem, sie wird immer dynamischer und offener. Die Grenzen zwischen den Funktionen der Akteure verschwimmen. Und wir sind eine Anlaufstelle für Projekte, bei denen niemand feste Bindungen eingeht." Klar, dass Rebaudengo die Arbeiten aus seinen Ausstellungen schon mal für seine private Sammlung kauft und inzwischen seine eigene Mutter berät.
Und so wird auch Gregory Muir, Kurator von "Beware Wet Paint", indirekt zum Artuner-Player. Der Direktor des Londoner Institute for Contemporary Art, der in seinem eigenen Haus eine zweite Version der Ausstellung arrangiert hat, führt hier Künstler zusammen, die bei Artuner auftauchen und auch in Rebaudengos nächster Schau zu sehen sind, darunter Jeff Elrod, Pamela Rosenkranz und Christopher Wool. Gezeigt wird "Open Source – Art at the Eclipse of Capitalism" – diesmal ganz real – im März 2015 in der Galerie von Max Hetzler in Berlin und Paris. Rebaudengo bezieht sich auf das Buch "Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft" des amerikanischen Ökonomen Jeremy Rifkin. Es handelt davon, wie das Internet uns in eine Zeit der Share Economy katapultiert, also der fast kostenlosen Dienstleistungen. Diese Zukunft des Tauschens und Teilens, so die These, läute den Niedergang des Kapitalismus ein, weil er sich absurderweise selbst auffrisst: Im freien Wettbewerb der technologischen Revolution sinken bei steigenden Produktionen die Preise so weit, dass sie keine Gewinne mehr einbringen. Die Welt wird zur digitalen Kommune von Prosumern, in der alles, vom Freundeskreis bis zum Fachjargon, einen Tauschwert bekommt. Keine Frage: Mit Rifkin besetzt Rebaudengo ein angesagtes Thema – auch wenn es als Ausstellungskonzept etwas überambitioniert wirkt. Die Bilder in der Schau werden nämlich nicht getauscht oder geteilt. Sondern ganz einfach teuer verkauft.
www.artuner.com , www.fsrr.org
© Gesine Borcherdt