artnet – 2. April 2012
Im Grunde ist ja alles super mit der Kunst. Gerhard Richter in Berlin, Das neue Städel in Frankfurt am Main. Deutschland hatte gleich zwei Top-Ereignisse im ersten Kunstquartal 2012. Die Macher sind glücklich: Üppiger könnten Besucherschlangen und Presseberichte kaum ausfallen.
Üppig, das ist auch die Bilanz des Städels: Mehrere Millionen Euro überwiesen die Bürger der Stadt für Neubau und Ankäufe. Sieben Millionen gab die Hertie-Stiftung für das Gebäude, Kunstfreunde schenkten wertvolle Gemälde, es folgten private und anonyme Spender großer Summen – am Schluss kamen noch drei Millionen vom Museumsverein drauf. Selbst, wer wenig gab, bekam ein Paar gelbe Gummistiefel, das Markenzeichen für Städel-Spender. Dank Museumsdirektor Max Hollein und Silvia von Metzler – Vorsitzende des Vereins, auf deren legendären Festen Banker und Kuratoren Bruderschaft trinken – herrscht am Main ein mäzenatisches Credo: Wer etwas auf sich hält, ist Städel-Mitglied. Ab 20 Euro pro Jahr Kindermitgliedschaft bis einmalig 7.500 Euro für die Teilnahme am Stifterkreis ist der Einsatz nach oben hin offen, von Flyerverteilung bis zur Patenschaft für ein Oberlicht für 25.000 Euro. Oder gleich für ganze Säle, nach amerikanischem Modell.
Dass Hollein sein Handwerk an der New Yorker Solomon R. Guggenheim Foundation gelernt hat, merkt man daran, dass er potente Bürger nicht nur selbstbewusst umschwärmt, sondern für ein patriotisches „Wir-Gefühl“ sorgt: Die Mitgliedschaft solle „für einen kunstinteressierten Frankfurter selbstverständlich sein“, um die Beziehung zwischen Bürgern und „unserem“ Städel zu fördern, heißt es auf der Webseite des Vereins. Mitglieder besuchen Künstler in Ateliers, hören Vorträge zu geplanten Ankäufen, die sie unterstützen sollen, und überhaupt herrscht reger Austausch zwischen Haus und Spendern. Und da dem Museum eine Kunsthochschule angegliedert ist, werden selbst Künstler zu Städel-Afficionados. Die Tradition – basierend auf der Bürgerstiftung, die Johann Friedrich Städel 1815 ins Leben rief, als er der Stadt seine Sammlung und sein Vermögen vermachte – bedeutet also nicht Aufbewahren der Asche, sondern Weitertragen des Feuers. Image-Transfer wird hier nicht mit BMW-Shuttle-Service verwechselt. Wer viel verdient, gibt in der Regel auch viel. Und bekommt eine Menge zurück: Neues Wissen, neue Kontakte, vielleicht sogar eine neue Identität. Und natürlich eine Reihe schicker Empfänge. Nur geht es bei denen vor allem um den persönlichen Einsatz für die Kunst – und nicht um Käsehäppchen mit Jasmin Tabatabai.
Den Verein der Freunde der Nationalgalerie in Berlin kann man damit schon eher locken. Auf der größten Gala, die das Museum seinen Mitgliedern alle zwei Jahre zu bieten hat, übergab die Schauspielerin den Preis für junge Kunst an Cyprien Gaillard. Dann wurde das Buffet gestürmt – dabei hätte allein Direktor Udo Kittelmanns Stichelei gegen den Kandidaten Andro Wekua, dessen Nichterscheinen er in seiner Preisrede als „unprofessionell“ bezeichnete (seit wann müssen Künstler in einen neoliberalen Jargon passen?), den Mitgliedern auf den Magen schlagen müssen. Doch für 600 Euro im Jahr will man sich die Feierlaune nicht verderben lassen.
Auch ein Besuch zur Richter-Eröffnung im Freunde-Festzelt neben dem Mies-Bau legt nahe, dass hier weniger ein feiner Geist, sondern vielmehr ein gewisser altwestberliner Mief durch den Raum wabert. Wer meint, dass senffarbene Doppelreiher mit Schulterpolstern in die Altkleidertonne gehören, wird hier eines besseren belehrt. Entsprechend fehlt von Kittelmann und Geburtstagskünstler Gerhard Richter nach kürzester Zeit jede Spur. Und wo sind die Kuratoren, Künstler und Galeristen der Stadt, deren New Yorker Kollegen ihn vor zehn Jahren als MoMA-Mitglieder bei seiner großen Retrospektive feierten? In Berlin ergreifen die wenigen anwesenden Künstler – Katharina Sieverding, Tino Sehgal, Martin Eder – erst ein Schampusglas und dann die Flucht. Das Identifikationspotenzial zwischen denen, die die Stadt zum Hotspot der Kunstwelt machen, und dem Museum, das sie sorgsam sammeln und ausstellen müsste, könnte kaum geringer ausfallen. Verantwortung, Respekt, Wir-Gefühl? Tradition, Mitgestaltung, Großzügigkeit? Das, was hier Museumsleute und Mitglieder zu einen scheint, ist das Ertränken solcher Werte in Champagner.
Gut möglich, dass die Organisatoren des Freundeskreises das vor lauter Selbstverwaltung gar nicht merken. Anders ist es nicht zu erklären, dass man dort einen gewissen Mitgliederschwund einfach hinnimmt, während im Westen Deutschlands Unsummen für Kunst nach 1945 gespendet werden. Doch die kleinbürgerlich gefärbten Veranstaltungen in der Hauptstadt dürften nur ein Grund für die Austritte sein. Vor allem ist es die Tatsache, dass die Leiter des Vereins ihren Mitgliedern den Rücken kehren, statt sie gemeinsam mit Direktor und Kuratoren in ihre Pläne einzubeziehen.
„Ich bekomme ein paar Mal im Jahr einen unübersichtlichen Haufen an Papieren, Einladungen und Event-Listen – anderswo erhält man alle zwei Wochen eine klar strukturierte E-Mail,“ erzählt ein enttäuschtes Mitglied, das sich nun abgemeldet hat. „Ich weiß nicht, welche Ankäufe oder Ausstellungen geplant sind und schon gar nicht warum. Kuratoren, die ihre Arbeit erklären oder dezidiert zu Spenden aufrufen, habe ich nie erlebt. Und wenn ich mich für eine Sonderführung anmelden will, soll ich 20 Euro per Scheck bezahlen oder – noch besser – in bar mit der Post schicken! Das steht symptomatisch für die rückständige Mentalität des Vereins.“
Von der Funkstille zwischen Freundeskreis-Machern, Kunstinteressierten und -akteuren der Stadt spricht auch Nina Koidl von der Galerie Campagne Première, die ebenfalls ausgetreten ist. „Es besteht keine Verbindung zwischen innerem Kreis und Mitgliedern. Man empfindet es daher nicht als Privileg, teilzunehmen. Um das zu ändern, müsste eine Struktur der Mitgestaltung her.“ Auch, dass so wenige Sammler, Künstler und Kuratoren mit von der Partie sind, irritiert sie. „Die Bildungsbürger bleiben unter sich, dabei könnte man mit einem gestaffelten Finanzierungsmodell und gesonderten Spendenaufrufen viel mehr relevante Persönlichkeiten und größere Summen reinholen.“
So wundert sich auch Galerist Mehdi Chouakri, langjähriges Mitglied und potenzieller Austrittskandidat, dass E-Mails unbeantwortet bleiben, zum Beispiel, als er dem Freundeskreis eine Mitgliederführung durch die vielbeachtete Sâadane Afif-Ausstellung im Schinkel Pavillon vorschlug – als hätten die Galeristen nichts mit den Künstlern zu tun, denen die Stadt ihren Ruf als Kunstmetropole verdankt. Chouakri meint: „Die Motoren, die einen Freundeskreis anheizen könnten, werden ferngehalten.“ Ein bisschen klingt das, als fürchteten die Macher, durch einen zeitgemäßen Drive aus ihrem Hobbykeller gekickt zu werden. Da verwundert es kaum, dass die seltenen, zum Teil wahllos wirkenden Ankäufe des Museums gern direkt übers Atelier getätigt werden. Oft verhandelt man auch Sonderkonditionen, bei denen Galerie und Künstler sogar draufzahlen.
Dass die Vorsitzende des Freundeskreises, die ehemalige Kulturstaatsministerin Christina Weiß, sämtliche Mitglieder „Mäzene“ nennt, klingt da wie ein Missverständnis. Wie soll man dann jemanden bezeichnen, der in Frankfurt ein Oberlicht erwirbt? Dabei würde man sich das, was das Städel auszeichnet, sehnlichst auch für Berlin wünschen: Grandezza. Stattdessen spielt die Nationalgalerie einzelne VIP-Karten aus, mit Borchardt-Catering und Schauspielern als Juroren für den Preis für Junge Kunst, damit sich ihre Klientel ein bisschen mondäner fühlen darf. Allein auf der Webseite klingen die Vorteile einer Mitgliedschaft eher nach Eigennutz: keine Wartezeiten, Eröffnungseinladungen, Steuerabschreibungen und – allen Ernstes – Rundbriefe.
„Ich hatte gehofft, der Verein schlägt eine Brücke zwischen den Künstlern der Stadt und dem Museum, zwischen Sammlern und Sponsoren“, meint das Noch-Mitglied. „Ich wäre auch bereit, mehr Geld zu zahlen, wenn ich besser über die Pläne des Hauses zu Ankäufen und Ausstellungen informiert wäre. Da würde ich auch extra spenden, bin aber nie dazu aufgerufen worden. Stattdessen ersticke ich in diesem Wust aus teuer designten Hochglanz-Einladungen zu Events, bei denen man sich vor allem selber feiert. Ich habe das Gefühl, ich unterstütze nicht die Kunst und Künstler der Stadt, sondern diesen schläfrigen Verein selbst!“
Leider ist dieser Aussteiger schon zu alt für den „Stoberkreis“, den Verein der „jungen Freunde“: Dort finden nämlich immerhin Atelierbesuche bei angesagten Künstlern und Privatsammlungen statt. Zwar werden auch hier Spenden nicht direkt eingefordert – klar, wer kann schon mit unter 36 Vierstelliges lockermachen? Doch dank der kosmopolitisch gepolten Mitglieder, die vor Kunstmarkt und kritischen Fragen keine Scheu haben, vermittelt dieser Kreis eine gewisse Frische, die möglicherweise eines Tages in den Seniorenkreis herüberweht. Dass die Neue Nationalgalerie ab 2015 für drei Jahre wegen Sanierungsmaßnahmen schließt, könnte ein passender Anlass für eine geistige Instandsetzung sein.
Dann könnte man nämlich eine ähnliche Mentalität wiederbeleben, wie sie dem Förderverein schon einmal zugrunde lag. Als er sich 1977 neu formierte, äußerte Museumsdirektor Dieter Honisch ausdrücklich den Wunsch nach „geistiger Anteilnahme“ an seinen Tätigkeiten. Er erhoffte sich eine Zusammenarbeit mit aktiven Förderern – mit deren Hilfe, unter der Federführung von Rechtsanwalt Peter Raue, der Hauptwerke wie Barnett Newmans *Who’s afraid of Red, Yellow and Blue* (1967/70) erwarb oder Otto Dix‘ *Skatspieler* (1920): Hierfür veranstaltete man sogar ein Benefiz-Skatturnier, das den Mitgliedern ein Startgeld von 500 Deutsche Mark und eine Spende von 2.000 Deutsche Mark abverlangte. Getoppt wurde dieser Einsatz durch den Erlös einer Versteigerung, für die zwei Dutzend Künstler ihre Werke einreichten. Sonderaktionen, Einzelspenden, private Stiftungen von Kunstwerken – wie Richard Serras Eisenskulptur *Berlin Block (für Charlie Chaplin)* und zahlreiche Spenden von Künstlern brachten der Honisch-Ära einen gewissen Glanz ein – bevor der Förderkreis um die Jahrtausendwende in einen Loop aus Monstermarketing und Selbstmanagement verfiel.
Gegen den Staub, der sich dort seitdem niedergelassen hat, helfen auch die Blockbuster-Shows nichts. Im Gegenteil: Ob man sich nun mit fremden Federn schmückt wie mit „MoMA in Berlin“ und „Die schönsten Franzosen kommen aus New York“ oder – unter der pop-affinen Ägide Udo Kittelmanns – mit „Die Kunst ist super“ und Carsten Höllers Weihnachtsschau „Soma“: Nichts davon wird dem Museum nachhaltig dienen. In Frankfurt wird man sich dagegen in zwanzig Jahren nicht nur vage an Warteschlangen erinnern. Da grenzt es fast an Hohn, dass der Städelverein seinen Mäzenen nicht nur gerne Schampus serviert, sondern dazu ausgerechnet Wowereits Lieblingsgericht: Currywurst.
© Gesine Borcherdt