Während Kubas Öffnung voranschreitet, haben drei italienische Träumer jetzt die erste private Galerie in Havanna eröffnet. Sie erklären den globalisierten Kunsthandel aus dem Geiste der Renaissance
Welt am Sonntag, 13. Dezember 2015
Sie ist eine große Liebesgeschichte, die Sache mit der Kunst. Wenn Lorenzo Fiaschi sie erzählt, im quietschbunten Jackett und mit langer dunkler Lockenmähne, strahlt er über das ganze Gesicht. Der Italiener ist das Sprachrohr des Trios von der Galleria Continua aus San Gimignano. Jawohl, San Gimignano: das berühmte Renaissancestädtchen in der Toskana, Unesco-Weltkulturerbe mit knapp 8000 Einwohnern. Im Mittelalter lieferten sich Guelfen und Ghibellinen ein Wettrüsten mit Wehrtürmen, Dante saß im Priorat, der Handel mit Safran florierte. Wer hier heute eine Galerie betreibt, verkauft Aquarelle von Stadtansichten, aber keine Kunst von Ai Weiwei, Daniel Buren oder Anish Kapoor. Denkt man.
Denn die große Liebesgeschichte, die inzwischen 25 Jahre währt, ist eine der erstaunlichsten Erfolgsstorys am Kunstmarkt überhaupt. Mit 40 Künstlern aus 25 Ländern von fünf Kontinenten ist die Galleria Continua heute nicht nur Italiens größte Marktadresse für Gegenwartskunst. Sondern sie eröffnete als erste ausländische Galerie vor elf Jahren eine Dependance in Peking – auf wundersame Weise ganz ohne den damals obligatorischen chinesischen Partner. Vor acht Jahren kamen zwei alte Mühlen auf dem Land nahe Paris hinzu, wo zwar kaum jemand vorbeikommt, man aber gut essen und trinken kann. Auch die neueste Anschrift liegt nicht gerade am Nabel des Kunstbetriebs: Havanna. Vor zwei Wochen fand die große Einweihungsfeier in einem ehemaligen Kino statt, mit einer anderthalb Kilometer langen Schlange durch die Straßen. Der Pagodenbau in China-Town gehört dem Kulturministerium. 90 Prozent Steuern zahlt man als Privatunternehmer in Kuba. Handel ist also undenkbar. Warum um alles in der Welt zieht man als Galerie an solche Orte statt nach London oder New York?
Fangen wir also noch einmal von vorne an, bei der großen Liebe. Alles begann im Jahr 1990, als sich Fiaschi und seine zwei Freunde aus Kindertagen, Mario Cristiani und Maurizio Rigillo, mit einer Million Lire (damals umgerechnet etwa 500 Euro) pro Nase in einem alten Pförtnerhaus in das "Abenteuer Kunst" stürzten, wie es Fiaschi nennt. Der eine hatte Informatik studiert, der andere Politik, der dritte Kunst. Nebenbei kellnerten sie. "Das Ganze begann zum Spaß. Aber schnell hatten wir ein Ziel: das größtmögliche Publikum zu erreichen. Kultur muss für alle da sein. Großzügigkeit und Altruismus, so lauten unsere Grundwerte. Diesem Renaissance-Gedanken wollten wir Kontinuität verleihen, daher der Name 'Continua'."
Spricht so ein Galerist, der an Giga-Messen wie der Art Basel Miami Beach teilnimmt, mit Kunst für sechsstellige Summen im Gepäck? Fiaschi lächelt und zuckt mit den Schultern. "Wir wollen ja nicht reich werden. Alles Geld der Galerie fließt zurück in die Kunst." Man möchte es nicht so recht glauben. Doch tatsächlich führt das Trio einen Verein namens Associazione Arte Continua, der sich über die Einnahmen aus den Kunstverkäufen finanziert – vielleicht ein schlaues Modell, um Steuern abzuschreiben, aber in jedem Fall ein Vehikel für Kunst jenseits der Galerieräume, wie das jährliche Projekt Arte all'Arte auf den Plätzen, Straßen und Weinbergen von San Gimignano, zu dem keineswegs nur Künstler der Galerie geladen werden.
Altruismus und Markt: Geht das zusammen? Fiaschi nickt. "Damit Kunst existieren kann, braucht sie nicht nur ein breites Publikum unterschiedlichster Kulturen, sondern auch ein ökonomisches System. Das darf aber kein Selbstzweck sein. Es muss allein dazu dienen, Kunst sichtbar zu machen." Sammler sind für Fiaschi also nicht bloß Kunden, sondern vor allem Diener der Continua-Mission, Kunst in die weite Welt hinauszutragen, um Menschen miteinander zu verbinden. Am besten an Orte, wo sie noch nicht so präsent ist. Die Galerie als Kulturbotschafter – würde ein globaler Powerseller wie Larry Gagosian so etwas behaupten, es wäre mehr als zynisch. Bei Fiaschi klingt das so: "Die Galerie hat eine öffentliche Rolle. Sie ist Labor und Energiequelle, wo Künstler ihre Träume realisieren und ihre Kreativität ausleben können. Die Renaissance erinnert uns daran, dass Kultur die Gesellschaft und Menschheit verändern und verbessern kann. Kunst ist die Seele des gesunden Menschen. Sie überwindet Grenzen wie der Wind."
Fiaschis Sätze sind pathosgetränkt. Wenn es um Finanzierungsfragen geht, schwärmt er davon, "das Herz hinter das Hindernis" zu werfen. Doch tatsächlich schienen magische Kräfte am Werk, als der Arte-Povera-Künstler Michelangelo Pistoletto mithilfe der Galerie vor einem Jahr sein Dauerprojekt "Terzo Paradiso" vor Kubas Küste realisierte: Fischerboote auf dem Meer beschrieben eine Acht, das Unendlichkeitszeichen als Symbol für eine "neue Menschlichkeit", wie es der Künstler nennt. Am Tag darauf telefonierten Barack Obama und Raúl Castro miteinander, nach 54 Jahren Feindschaft ihrer Staaten. Klar, dass die Kunstwelt nun nach Kuba schaut – und dort als Erstes Continua erblickt. "Wir wollen hier nicht auftrumpfen. Kuba ist ein menschliches Abenteuer", sagt Fiaschi. Und räumt ein: "Es wäre natürlich nett, wenn Kuba das Gesetz ändern und Galerien erlauben würde, den vielen tollen Künstlern hier Raum zu geben."
Und vielleicht auch Redefreiheit, wenn man etwa an Tania Bruguera denkt. Der Künstlerin wurde nach einer Performance auf der Plaza de la Revolución, bei der sie Einwohner nach ihren Zukunftsvisionen fragte, der Pass weggenommen. Fiaschi war empört. Trotzdem glaubt er, dass sich in Kuba etwas ändern wird. Allein schon, weil er ja nun mit dem Kulturminister kooperiert: Der lacht auf einem Selfie neben dem Galeriekünstler Carlos Garacoia in die Kamera. Garacoia war hier so etwas wie ein Türöffner. Inzwischen vertritt Continua vier Künstler aus Kuba. In Peking funktionierte die Pionierarbeit ähnlich, da war es Chen Zhen, der die Galerie nach China brachte. Heute vertritt sie sieben Künstler von dort.
Es ist diese ungebremste, ziemlich italienische Mischung aus Leidenschaft, Idealismus und nicht ganz eindeutigem Geschick für Politik und gute Geschäfte, mit dem die Galerie von Anfang an große Namen angezogen hat: erst Pistoletto und Daniel Buren, später Kapoor, Juan Munoz und Mona Hatoum, dann Berlinde de Bruyckere, Kendell Geers und Kader Attia. Sie alle haben den Hang zu klar geformter, materialstarker Symbolik. Hört man sich dort um, herrscht Begeisterung. Denn Fiaschi, Cristiani und Rigillo lancieren neben aufwendigen Galerieausstellungen noch weitere Off-Site-Projekte wie derzeit eine Ausstellung in Beirut mit dem schönen Titel "Wind and Art Don't Care about Borders", Kunstprogramme in Schulen und Krankenhäusern oder Provinzabsurditäten wie Weineditionen mit Künstleretiketten – die letzten stammen von Kiki Smith, Carsten Höller und Anthony Gormley. Und sie feiern Dinnerpartys mit derselben Inbrunst, wie sie Kunst in große Worte hüllen. "Continua ist meine italienische Familie", sagt Kader Attia. Es ist ein bisschen unheimlich, wie harmonisch das alles klingt. Als wäre Continua eine Sekte, die Kunst als Schlüssel zum Glück in die Welt tragen will – fern von Marktkalkül und Konkurrenzkampf, wie sie sonst das Galeriegewerbe beherrschen. "Wir haben eine Abmachung: Falls sich einer von uns in einen Künstler verliebt, sieht er in ihm etwas, was den anderen entgangen ist. Also muss er sie durchs Dunkel führen und begründen, was ihn überzeugt. Diese wundervolle Übung hat zu großer Offenheit geführt." Ja, das alles ist eine große Liebesgeschichte. Und wie das mit der Liebe so ist: Wirklich erklären kann man sie nicht.
© Gesine Borcherdt