Georg Baselitz Interview: Ich war dagegen
/ art. Das Kunstmagazin

art. Das Kunstmagazin – 3. August 2012

Georg Baselitz zeigt in Salzburg neue Bilder. Seine Figuren stehen darin nicht nur wie üblich auf dem Kopf, sondern sind farblich ins Negativ verkehrt. Und natürlich trifft man auf alte Bekannte. Warum er keine neuen Motive braucht, wieso ihm jeder Trend suspekt ist und was er von der documenta hält, erklärt er im art-Interview.

art: Herr Baselitz, Ihre neuen Bilder sind sehr viel dunkler als die letzten. Wie kommt das?

Georg Baselitz: Das hängt mit dem Hintergrundmodell zusammen. Nehmen Sie zum Beispiel das Elke-Porträt. Das habe ich zum ersten Mal 1969 gemalt. Da habe ich meine Frau ungefähr so positioniert wie Picasso Olga positioniert hat – sozusagen im heimlichen Vergleich, aber eben verkehrt herum.

Das Bild habe ich 40 Jahre später wieder gemalt, mithilfe einer Fotografie, die mein Enkelsohn mir als Schwarz-Weiß-Negativ am Computer ausgedruckt hat. Vor einem halben Jahr habe ich dann einen Farbabzug dieses Negativbildes gemacht und mit Komplementärfarben abgemalt. Solche Farbnegative sind derInhalt der jetzigen Ausstellung.

Die keine neuen Motive aufweist, oder?

Meine Grundposition ist, dass ich keine neuen Motive brauche. Wichtig ist nicht das Modell, sondern was man daraus macht.

Auch die Russenbilder, die sich auf Ihre Schulzeit in der DDR beziehen, gibt es schon. Die erste Serie ist erst relativ spät entstanden, zwischen 1998 und 2002.

Das hatte damit zu tun, dass damals die Mauer fiel und das ganze System zusammenbrach. Wann war das – 1998?

Um genau zu sein, neun Jahre vorher.

Wirklich? Tatsache. Ja, damals habe ich erst einmal meine Familie gemalt – das ganze sentimentale Erinnerungsprogramm. Und erst dann kamen die Russen. Eigentlich geht es nur um Wiederholung. Aber Wiederholung im Sinne des Vernichtens – durch eine neue Methode, damit man die Bilder nicht unbedingt wiedererkennt.

Aber woran liegt es, dass sie immer wieder die gleichen Themen aufgreifen? Ist bei Ihnen niemals etwas abgeschlossen?

Manche Leute brauchen Ortsveränderung, um neue Gedanken zu haben. Sie müssen ständig neue Beobachtungen machen. Ich brauche das nicht. Ich sehe mir gerne andere Sachen an, aber für meine Arbeit brauche ich diese Einflüsse nicht. Ich arbeite mit Fotos und Büchern, die ich jetzt 50 Jahre mit mir herumschleppe. Auch meine eigenen Kataloge blättere ich immer wieder durch und finde etwas, das man nochmal anders machen könnte…

Sie haben einmal gesagt: "Das Charakteristikum meiner Bilder war und ist immer der Gegenstand. Und der hatte oft mit meiner Biografie zu tun – Personen, Landschaften, Ereignisse." Das sind immerzu dieselben?

Ja. Wissen Sie, in der Kunst gibt es heute diesen Hang, sich möglichst weit zu öffnen – indem man sich nicht mit anderen Welten vergleicht, sondern sich darin einverleibt. Andere Kulturen, Altersgruppen, Geschlechter – dieses große "Wir sind doch alle Menschen". Das ist mir äußerst suspekt. Ich beharre darauf: Bleib Weiß und bleib Schwarz, bleib Frau und bleib Mann, bleib deutsch und bleib Russe! Natürlich ist die Welt grundverschieden in ihrer Erscheinungsform. Aber für die Kunst ist das uninteressant.

Die meisten jüngeren Künstler machen genau diese Realität aber zu ihrem Gegenstand.

Ja, und die Ergebnisse sind wirklich miserabel. Als ich das erste Mal nach Holland und Amerika gefahren bin, wäre ich am liebsten in der Erde verschwunden, weil ich als Deutscher nicht gerne gesehen war. Man wurde automatisch dominiert von allen, die nicht deutsch waren. Deshalb wollte ich eine Zeit lang möglichst nicht deutsch sein. Nur leider war meine Malerei nun einmal deutsch, und nachdem ich merkte, dass genau das der Angriffspunkt war, habe ich darauf beharrt. Robert Rauschenberg ist ein großartiger Künstler, weil er durch und durch amerikanisch ist, auch amerikanischer als Andy Warhol. Der ist für mich immer noch irgendwie Böhme. Aber ich kann kein Rauschenberg sein. Ich bin kein Pop-Artist. Ich weiß, es wird überall Pop Art gemacht – ich finde das lächerlich.

Pop ist eben eine Sprache, die jeder versteht.

Sollen sie ruhig machen, die Deutschen. Die werden damit keinen Erfolg haben. Dass die Kunst aus Deutschland derzeit so erfolgreich ist, hat eindeutig zu tun mit der unmittelbaren Nachkriegsvergangenheit. Das wird morgen nicht mehr so sein.

Vielleicht liegt das daran, dass Ihre Generation ein ausgeprägtes Bewusstsein hat für das menschliche Drama?

Ja, es gab das Erlebnis und es gab kein Geld. Man musste sehen, wo man bleibt und sich selbst versorgen und sich durchsetzen. Und als Künstler musste man sich in Berlin, wo ich angefangen habe, sehr laut durchsetzen, damit man bemerkt wurde. Und ich war ein ganz aggressiver Typ und mochte eben dieses und jenes überhaupt nicht.

Zum Beispiel?

Nun, mein Lehrer an der Akademie war Kriegsteilnehmer: Hann Trier, ein informeller Maler. Der war glücklich, den Krieg überlebt zu haben. Er beharrte immer auf der Freiheit, auf der neuen Situation in Deutschland: Alle Türen sind offen, die Balkons sind inzwischen rosa und blau, und die Autos haben Weißwandreifen. Dieses Freiheitsgefühl, also nicht das des Kriegsverlierers, hat er versucht, mir beizubringen. Und so habe ich angefangen, abstrakt zu arbeiten. Schon nach einem Semester war mir nicht wohl. Also habe ich alles weggeschmissen und angefangen, laut meinem Lehrer, anachronistische Dinge zu machen. Und das führte schnell zu diesen Sauereien unmöglicher Art. Aus war es mit der Lernfähigkeit und der Einflussnahme meines Lehrers – den ich hoch verehre, weil er mir wirklich auf die Sprünge geholfen hat!

Also haben Sie an der Akademie vor allem Ablehnung gelernt?

Es gab da noch einen Lehrer, der hieß Karl Schmidt-Rottluff. Den habe ich jeden Tag gesehen und hatte eine vage Vorstellung von seinen Bildern. Aber niemand von meinen Kommilitonen wollte wissen, wer das ist und was der gemalt hat. Alle haben Mathieu, Pollock oder de Kooning angeschaut. Aber von Expressionismushatte keiner eine Ahnung. Woher auch?

Sie sind also nicht dem allgemeinen Trend gefolgt.

Nein. Meine Frau und ich hatten auch mit Demonstrationen nichts zu tun oder mit Weltfrieden. Wir verachteten natürlich die Spießer, aber auch die Studenten mit den Tabakpfeifen und den komischen Mützen. Und als das Kiffen anfing, haben wir nicht gekifft, sondern stolz weiter Bier und Wein getrunken. Wir waren abgesondert. Und in dieser Absonderlichkeit sind diese merkwürdigen Bilder entstanden, die keiner mochte. Als ich sie ausgestellt habe, war das Geschrei groß. Es gab natürlich auch keinen Verkauf. Aber alles war genau richtig! Dagegen hat jemand wie Rauschenberg ganz normal studiert. Der war am Blackmountain College, wo es gute Lehrer gab. Man hatte zwar das Problem mit dem Konsum, aber nicht das Generationsproblem. Folglich haben die Studenten das, was man ihnen gesagt hat, angenommen. Ich war dagegen!

Ist Ihnen jede Bewegung suspekt?

Ja, so ist es in der Kunst auch. Documenta und so. Wissen Sie, wie ich das nenne?

Na?

Paralympics.

Haben Sie die jetzige gesehen?

Ach, ich gehe da seit Jahren nicht mehr hin. Meine Frau manchmal schon, und die berichtet mir dann davon, dass sie am Bahngleis stand, und da wuchs das übliche Unkraut.

© Gesine Borcherdt