Die Prophetin des Internets
/ Die Welt

In den 80ern war das Fernsehen die wichtigste psychotechnische Macht. Gretchen Bender wollte dem Medium mit ihrer Kunst die Autorität nehmen. Eine Weitsicht, die jetzt wieder bestaunt werden kann.

Die Welt, 16. Mai 2015

Wollte Gott uns eine Botschaft senden, sie sähe aus wie "Total Recall". Nein, nicht der Blockbuster mit Arnold Schwarzenegger, auch wenn man den mal im Hinterkopf behalten kann. Sondern 24 Röhrenfernseher, die die Künstlerin Gretchen Bender 1987 zu einer Videoinstallation aufgetürmt hat. In rasend schneller Choreografie feuert sie abstrakte Zeichen, computeranimierte 3-D-Firmenlogos und Hollywood-Filmausschnitte in den Raum, flackernd zu Elektrorhythmen im Stil von Kraftwerk. Der Sound schwillt an und ebbt ab, stampfend und scheppernd wie ein Chor aus dem All, dirigiert von Darth Vader.

Aus heutiger Sicht erscheint uns so etwas natürlich nicht gerade als jüngste Verkündigung. Aber wie die Multimonitor-Installation jetzt im ruinösen Prinzessinnenpalais Unter den Linden aufgebaut ist, das der Schinkel Pavillon extra angemietet hat, wirkt sie nicht nur verblüffend aktuell, sondern geradezu prophetisch. Denn "Total Recall" vereint alles, woran wir glauben und was uns beherrscht: Ideologien, Informationen, Interferenzen – verwandelt in Filme, Firmenlogos, Fingertipps; damals auf die Fernbedienung, heute aufs Smartphone. 18 Minuten lang sitzt man auf Bänken davor. Demütig, gebannt, verwundert. Wer war diese Frau, die diese unglaubliche Performance entwarf?

Gretchen Bender ist 27 und hat Kunst studiert, als sie 1978 von Washington D.C. nach New York zieht. Im East Village dockt sie sich an die Künstler der Picture Generation an, trifft Cindy Sherman, Jack Goldstein und Robert Longo, die gerade dabei sind, Medienbilder zu reinszenieren und deren Verführungskraft aufzudecken. Sie arbeiten vor allem mit Fotografie aus Film und Werbung.

Doch Gretchen Bender geht einen Schritt weiter. Sie überträgt den Diskurs aufs Fernsehen – den damals wichtigsten psychotechnischen Machtapparat, der, wie sie sagt, "Fiktion als Politik und Politik als Entertainment" propagiert. Von Künstlern wird er bisher weitgehend ignoriert. Monitore, das heißt für die meisten Videokunst, die sich nach den 70er-Jahren in eine Nische des Kunstbereichs verkrochen hat. Eine TV-Front voller Logos wirkt dagegen wie Schaufensterwerbung.

Was Bender damit will, ist, die Struktur des Mediums offenzulegen und ein Bewusstsein für seine Machtmechanismen zu schaffen: Ein einzelner Monitor verliert in der Fülle seine Autorität, seine eindimensionale Botschaft weicht dem, was sie "elektronisches Theater" nennt. Nach einer Reihe von Siebdrucken und Einzelvideos wird es in der New Yorker Szene zu ihrem Markenzeichen.

"Total Recall" zeigt sie zum ersten Mal 1987 in dem legendären New Yorker Ausstellungsraum "The Kitchen", danach in einer Scheune auf dem Land in Wisconsin, aus der man hinterher aufs Feld hinaustorkelt wie nach einem Rausch. Im Prinzessinnenpalais könnte man sich fast ins Party-Berlin der Nachwendezeit zurückversetzt fühlen, wäre Benders Ästhetik nicht so 80er – wobei ihr flashiger Elektro-Minimalismus eigentlich schon klassisch wirkt.

Standbilder aus "Shining" und "Salvador", Logos von General Electric, CBS und AT&T (deren Globus Bender als "Todesstern" bezeichnet), gepaart mit zitternden und zappelnden Mustern, Feuerwerken und Menschenmengen in Zeitlupe: Es ist Kondensat aus Sci-Fi, MTV und Geldindustrie, gegen das die Skulpturen des Medienkunstpioniers Nam June Paik wirken wie Reiterstandbilder.

Obwohl Bender Jahre vor der Internetrevolution agiert, bringt ihre Arbeit das auf den Punkt, was Foucault mit den "Technologien des Selbst" angerissen hat und Byung-Chul Han heute als "die neuen Machttechniken des Neoliberalismus" beschreibt: die Manipulation des Menschen durch die Medien, in deren Sogkraft er sein Leben zu einem ehrgeizigen Selbstbild modelliert. "Ich sehe die Medien als kannibalischen Fluss, der alles absorbiert", erklärt Bender 1991. "Wir können Technologie und Gesellschaft nicht länger trennen. Sie wirken wie ein Organismus im Kampf mit sich selbst." Dass Firmenlogos und Kinofilme heute durch Like-Buttons ersetzt werden, konnte sie damals noch nicht wissen – aber die DNA ist in ihrem Werk bereits spürbar.

Wie viele Künstler, die am Markt nicht so präsent sind, stand Bender in dem Widerspruch, ihr Geld genau mit dem zu verdienen, wogegen sie eigentlich antrat: Sie entwarf Trailer fürs Fernsehen, darunter den Vorspann zu der bis heute erfolgreichsten TV-Sendung der USA, "America's Most Wanted", das Pendant zu "Aktenzeichen XY". Zugleich unterwanderte sie den Mainstream mit Videos für Bands wie Babes in Toyland, Megadeath und R.E.M.

Dieses Multitasking mag ein Grund gewesen sein, weshalb sie es als Künstlerin nie zum Superstar geschafft hat wie ihre Kollegen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass ihre Denkweise zu diskurslastig war, um den Kunstmarkt regelmäßig zu bedienen, der für Videos ohnehin nicht viel übrighat. "Sie war sehr klug. Die Menge an Büchern, die sie gelesen hat, war beeindruckend", sagt Robert Longo über sie. Und: "Sie war eine Kampfkünstlerin. Wenn man ihre Videos anschaut, sieht man ihr Nervensystem."

Diesen Druck merkt man auch Benders eigenen Sätzen an, die irgendwie nicht zu der Lässigkeit der Picture Generation passen: "Ich glaube an mein Recht, alles zu zeigen, was für mich eine Beziehung zwischen Politik und Bildern ausdrückt. Der Betrachter soll die komplexen Systeme erkennen, die auf ihn einwirken." Wer so spricht, macht nicht nur Kunst, sondern trägt einen Kampf aus. 2004 verliert Bender ihn. Nicht gegen die Medien. Sondern gegen den Krebs.

Schinkel Pavillon/Prinzessinnenpalais, Unter den Linden 5, bis 31. Mai