Ting! klingelt der Fahrstuhl schrill bei jedem Stockwerk und rappelt sich schwerfällig nach oben. Zerkratzte Spiegel, Marmormuster aus Plastik an den Wänden, dahinter quillt Schaumgummi hervor. Man steht hier etwas beengt. Im achten Stock stoppt er mit einem Ruck, die Tür öffnet sich auf einen fensterlosen Gang mit Bürotüren. Nur ein kleines Schild mit der Nummer 801 weist darauf hin: Hauser & Wirth Institute. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte dahinter auch eine Sekte, eine gewitzte Finanzberatung oder das Büro einer besessenen Professorin stecken. Tatsächlich ist es so etwas wie eine Mischung von allem.
Das Institut ist der neueste Coup der Mega-Galerie Hauser & Wirth. Mit Dependancen in Zürich, London, New York, Hong Kong, L.A., St. Moritz und in der englischen Grafschaft Somerset, inklusive Buchladen, Bar, Restaurant, Kunstkursen und neuerdings auch eigenem Magazin hat sie nun eine Non-for-Profit-Forschungseinrichtung gegründet, die sich der Aufarbeitung von Künstlernachlässen widmet und Stipendien in Höhe von 50.000 Dollar an Kunsthistoriker vergibt.
Künstlernachlässe – sie sind es, die seit einigen Jahren den Kunstmarkt am Laufen halten. Hauser & Wirth war eine der ersten Galerien, die das erkannte. Sie vertritt mehr als andere davon, darunter große Namen wie Henry Moore, Geta Bratescu und Mike Kelley. Mit diesen Hinterlassenschaften verwandelt sich das, was einmal mit Aufbauarbeit für junge Künstler begann, gerade in eine Mischung aus Kunsthandel und Museum. Auch das Wort Non-for-Profit lässt aufhorchen: Was philanthropisch klingt, dient oft Steuerabschreibung, Geldwäsche und Machtausweitung. Man muss also erst einmal skeptisch sein, wenn man dieses Institut betritt.
Die Tür geht allerdings nicht ganz auf. Ein weißer Hütehund namens George Eliot liegt ausgestreckt auf dem Parkett des winzigen Büros und wedelt müde mit dem Schwanz. Um ihn herum sind drei Tische gequetscht, der Blick aus dem Fenster geht auf den weihnachtlichen Union Square. Trotz Winterkälte ist es einen Spalt geöffnet, die unregulierbaren Heizrohre haben den Raum auf Rekordtemperatur gebracht. Vielleicht liegt die Hitze aber auch an Jennifer Gross. Die Kunsthistorikerin versprüht eine unglaubliche Energie – man merkt sofort: Klassisch unterkühltes Galeriebusiness ist hier ziemlich weit weg. „Damit habe ich gar nichts zu tun“, ruft sie. „Ich weiß nicht mal, wo deren Kunstlager sind!“
Gross ist die Direktorin des Instituts. Bis vor zweieinhalb Jahren leitete sie den DeCordova Sculpture Park and Museum in Lincoln, Massachusetts, davor war sie Kuratorin der Yale University Art Gallery. In den Achtzigerjahren begann sie eine Karriere als Bankerin, studierte dann Kunstgeschichte bei der berühmten Rosalind Krauss, promovierte und ist seitdem eine Akademikerin ersten Ranges, die bis spät in die Nacht hinein Bücher und Aufsätze schreibt, tagsüber auf Podien sitzt oder Ausstellungen kuratiert – und darüber hinaus nun ein Institut leitet, das ganz ihrer Leidenschaft entspricht: der Arbeit mit Archiven. Ziel des Instituts ist es, sie zu sortieren und öffentlich zugänglich zu machen, digital wie analog. „Früher hat niemand darüber nachgedacht, diesen Bereich zu professionalisieren. Viele Nachlässe – Kunstwerke wie Ephemera – sind daher verstreut oder verloren.“
Als erstes wird das Institut einen Werkkatalog des amerikanischen Malers Franz Kline erstellen, in Kooperation mit dem Nachlass, der nicht zu Hauser & Wirth gehört. Dann wird es das Archiv des Installationskünstlers Jason Rhoades aufbereiten, das die Galerie wiederum gemeinsam mit einem Konkurrenten um die Sammlung von Künstlernachlässen, der Galerie David Zwirner, vertritt. Im Verwaltungsrat des Instituts sitzen Gross selbst, der Galeriegründer Iwan Wirth, Galeriepartner Marc Payot, der Anwalt David Shevlin und Lynn Gumpert von der Grey Art Gallery. Die Stimmen von Wirth und Payot zählen nicht mehr als die der anderen. Beraten werden sie von einem unabhängigen Team von Künstlern, Archivaren und Akademikern. Klingt alles einwandfrei.
„Die Galerie macht hier keinen Gewinn. Wir werden zwar auch mit ihren Nachlässen arbeiten, aber nicht ausschließlich. Das Institut will dem öffentlichen Interesse dienen“, betont Gross. „Auf eine Weise, wie sie andere Einrichtungen nicht mehr erfüllen können.“ Sie habe das selbst erlebt. Auch an renommierten Institutionen wird gekürzt, da das operative Geschäft immer mehr Geld verschlingt. „Museen wollen heute immer weiter wachsen. Das geht auf Kosten der Ausstellungen. Da ist es wichtig, dass jemand Mittel zur Verfügung stellt, die rein für die inhaltliche Arbeit verwendet werden. Verantwortungsvoller und qualitätsbewusster Umgang mit Archivmaterialien wird so für die Zukunft gesichert.“
Kurzum: Hauser & Wirth füllt da Lücken, wo sich andere rausziehen. Museen, Magazine, Kunstunterricht – während öffentliche Einrichtungen sparen und private Gelder konjunkturabhängig eingedampft oder auf immer mehr Institutionen verteilt werden, bleibt nicht viel übrig, um Arbeit für die Kunst zu leisten. Kein Wunder, dass immer mehr Kuratoren von Museen zu den Großgalerien abwandern. Natürlich kann man Hauser & Wirth einerseits vorwerfen, ihren Einfluss schrittweise auf die gesamte Kunstwelt ausdehnen. Selbst, wenn die Galerie nicht direkt in das Institut involviert ist und keinen unmittelbaren Nutzen daraus zieht: Sie dringt damit in Bereiche vor, die bisher nur indirekt mit kommerziellen Interessen verknüpft waren – und darin liegt letztendlich eine immense Soft Power.
Andererseits: Greift dieser Vorwurf nicht überall dort, wo private Gelder auftauchen? Gelder, die Institutionen seit Jahrzehnten von gänzlich kunstfernen und durchaus fragwürdigen Firmen annehmen, die sich unter dem Deckmantel der Philanthropie reinwaschen? In New York brodeln dieser Tage hitzige Debatten um die Verbindung von privatem Geld und Kunst: Demonstranten stürmten das Whitney Museum, weil dem Board-Mitglied Warren B. Kanders die Firma Safariland gehört – sie stellt das Tränengas her, das Ende November an der Grenze zu Mexiko eingesetzt wurde. Im Frühjahr protestierten Aktivisten gegen die Spenden der Familie Sackler, nach der im Metropolitan Museum ein ganzer Flügel benannt ist: Sie gründete die Firma Purdue Pharma, Produzentin des Schmerzmittels Oxycontin, das in den Vereinigten Staaten von Amerika die Rate der Drogentoten immens in die Höhe treibt. Dieselbe Firma entwickelte ein Gegenmittel und profitiert somit gleich zweimal. Ganz zu schweigen von den Immobilienmogulen, Finanzinvestoren, Oligarchen, Waffenhändlern, Erzminenbetreibern und Trump-Wählern, denen Galeristen bedenkenlos Kunst verkaufen – und ohne die der Markt in seiner jetzigen Dimension nicht existieren könnte. Das Geld und die Kunst: Sie feiern selten eine Traumhochzeit.
Dagegen steht das Hauser & Wirth Institute geradezu als Leuchtturm da, der sein Licht auf Schiffe in Seenot wirft. Wobei Jennifer Gross so ein entrücktes Bild gar nicht interessiert. Die Galerie habe erst ein ganzes Gebäude für das Institut bereitstellen wollen, lacht sie. „Aber ich wollte bewusst mit diesem kleinen Büro anfangen. Es geht hier ja nicht um Repräsentation, sondern um die konzentrierte, unabhängige Arbeit von Kunsthistorikern.“ Es ist acht Uhr abends, George Eliot hebt ihr schweres Haupt und hechelt. Gross strahlt. Zeit zum Gassigehen. Und dann für eine weitere Nacht über Büchern.