Aliens und Archaische Masken, Picasso und A. R. Penck: Seit über Zwanzig Jahren arbeitet Huma Bhabha an einem Werk, dessen Spirituelle Kraft und Eigenständigkeit lange übersehen wurden. Jetzt, wo ihre Skulpturen über den Dächern des Metropolitan Museum wachen, ist ihr Moment gekommen.
BLAU Nr. 31
Epileptisch zuckt er in alle Richtungen und dengelt mit seinem schmalen, braunstaubigen Körper gegen die Schaufensterscheibe, ohne ein Geräusch von sich zu geben. Seine Haare fliegen wild umher, die Augen sind weit aufgerissen. Auf der anderen Straßenseite sitzt eine Frau auf den Stufen, das Haus hinter ihr ist mit Brettern verrammelt. Ihr Blick schweift ins Leere, prallt ab an dem Schriftzug „Smoothies, Bubble Tea, Acai Bowl“, unter dem ein Geist sein Unwesen treibt – es ist, als würde sie den Ballon in Möhrenform, den ein Gebläse so gespenstisch zum Tanzen bringt, überhaupt nicht wahrnehmen.
Sie wäre nicht allein. In Poughkeepsie, dieser morbiden Industriestadt zwei Zugstunden nördlich von New York City, mischen sich die Abgehängten ihr Heroin mit Fentanyl – ein Opioid, das hundertmal stärker ist als Morphium und das die Sterblichkeitsrate in den USA massiv in die Höhe treibt. Vor allem in den ehemaligen Produktionsstätten an der Ostküste. Es sind Orte, die die reichen New Yorker meistens nur von den Ausfahrtsschildern der Highways kennen. Während sie zu ihren Wochenendhäusern fahren, durch das saubere, golden besonnte Landschaftsidyll von Upstate, hat Poughkeepsie etwas von einer Geisterstadt.
Es macht auch niemand das Tor auf, als ich bei der alten Feuerwehrwache anklopfe. Die Künstlerin Huma Bhabha soll hier leben. Ihr Name klingt so außerirdisch wie der dieser Stadt. Dann schlagen plötzlich die Hunde an, ein Türspalt tut sich auf. Zwei blonde Labradore wedeln wie wild, Huma Bhabha hält sie lachend zurück und stellt sie als Speedy und Chico vor. Wir stehen in der alten, gelblich gekachelten Garage, in die aus einem Loch in der Decke eine Rutschstange führt. Huma Bhabha kam 2002 hierher, gemeinsam mit ihrem Mann, dem Maler Jason Fox, der sein Studio ein Stockwerk höher hat. Nach 13 Jahren New York, das den beiden schließlich zu teuer wurde, war so viel Raum Luxus – auch wenn die Stadt selbst nichts zu bieten hat. Huma Bhabha zuckt mit den Schultern. „Ja, hier gibt es nichts. Eine Nervenheilanstalt, eine gute Brasserie, das war’s. Abends schauen wir meistens Filme. Aber das haben wir ohnehin oft getan.“ Vor allem Science-Fictionund Horrorfilme – und da macht Poughkeepsie plötzlich Sinn. Huma Bhabha deutet aus dem Fenster neben der Eingangstür. „Neulich haben wir gesehen, wie das Haus gegenüber bei einem Sturm eingestürzt ist. Es stand seit Jahren als Brandruine da, in der ein Baum wuchs. Es war irre zu beobachten, wie es in sich zusammenfiel!“
Huma Bhabha spricht laut und lächelt. Mit ihren kurzen Haaren, bedrucktem T-Shirt und Sneakern strahlt sie Handfestigkeit aus, aber auch eine ruhige Wärme. Auch ihre Kunst wirkt sensibel und robust zugleich und, wenn man das so sagen kann, irgendwie maskulin. Wo Mary Shelley Frankensteins Monster erfand, baut Huma Bhabha Figuren, die aussehen wie eine Mischung aus Alien und uralter Gottheit. Sie sind widerspenstig und nicht gerade schön, und es geht eine enorme Intensität von ihnen aus. Außerirdisches und Apokalypse, Spiritualität und Popkultur – Huma Bhabhas Welt ist voller Verweise, die sie in kraftvolle Fotocollagen und Skulpturen verwandelt, deren Handschrift ebenso eigensinnig ist wie die Künstlerin selbst.
Ich schaue mich im Atelier um. Obwohl es gar nicht so groß ist, weiß mein Blick nicht wohin zuerst, denn es gibt lauter kleine Arbeitsecken. Ich entscheide mich für die großformatigen Fotos auf den Stellwänden. Sie zeigen zerrüttete Wüstenlandschaften, die Gebäude darauf sind zerstört oder unfertig. Drähte ragen heraus wie Antennen, Löcher gähnen tief durch Beton. Auf einige Bilder sind Fratzen gemalt, manche in Tiefbraun, andere in grell leuchtenden Farben – maskenhafte, animalische Gesichter, aufgetragen mit heftigen Gesten, teils mit Fotos von wilden Tieren beklebt. In einem großen Metallwaschbecken an der Wand stapeln sich Holzbretter, Staubsaugerschläuche, Metallrohre und Maschendraht: Material vom Straßenrand, aus dem Huma Bhabha ihre Skulpturen baut. Ein Schreibtisch ist gesäumt von Zeitungsausschnitten mit Bildern von Wölfen, afrikanischen Fetischen und einer gemalten Hand von Philip Guston. Deren skulpturale Version findet sich auf einem weiteren Tisch – hier liegen zwei große gespreizte Hände aus getrocknetem Ton, als hätte jemand einen Yeti zerlegt. Schließlich starren zwei archaische Figuren von einem Sockel in den Raum: Ihre Köpfe sind weiß bemalt, die Augen graffitiartig aufgesprüht, die klobigen Körper bestehen aus dunklem Kork, der aussieht wie angesengt. Es sind kleinere Versionen von Skulpturen, für die Huma Bhabha in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit bekommen hat.
Spätestens seitdem sie im Frühjahr einen gigantischen Golem auf dem Dach des Metropolitan Museum in New York installiert hat, ist ihr Name in der ganzen Stadt plakatiert. We Come in Peace heißt die grimmige Figur, die janusköpfig in alle vier Himmelsrichtungen blickt. Der Titel ist ein Zitat aus dem Sci-Fi-Klassiker Der Tag, an dem die Erde stillstand von 1951, in dem ein Raumschiff in Amerika landet. Bhabha hat eine zweite Skulptur davorgesetzt: Zwei riesige Hände ragen aus einem Sack hervor, nach hinten schlängelt sich eine Art Schwanz heraus. Ob Mensch oder Tier drinsteckt, ob die gekrümmte Form Gebet oder Demutshaltung ist, bleibt ungewiss. Aber wer die zwei Wesen vor der Skyline von Manhattan aufragen sieht, bekommt weiche Knie. Als ich auf dem Dach war, spürte ich eine durchdringende, unheimliche Kraft, wie sie von einer Sphinx oder einem Basquiat-Gemälde ausgeht. Es war, als hätten sich die Götter, Medusen und Masken aus dem Innern des Museums zusammengetan, um die Menschen in ihre Schranken zu weisen. Die Medien feierten die Installation als „Sci-Fi-Showdown“ zum Thema Kolonialisierung und Invasion oder als erschütternde Metaphern auf ein Amerika, das den islamischen Fanatismus anprangert, aber selbst Drohnenkriege führt und ganze Dörfer im Nahen Osten plattmacht. Dass Huma Bhabha schon seit über zwanzig Jahren in dieser postapokalyptischen Bildsprache arbeitet, ohne dass sich je einer darum geschert hätte, wird nirgendwo erwähnt. Dabei schafft es diese Künstlerin, eine immense Kraft und Spiritualität ins Werk zu holen, wie man sie sonst nur aus vergangenen Zeiten kennt.
Wer im Metropolitan Museum durch die Abteilungen von Ozeanien oder Südamerika läuft, begegnet Gefäßen in Tierform oder verziert mit Grimassen, Bastkostümen mit Riesenaugen und aufgerissenen Mündern, bunt bemalten und grotesk verzerrten Masken, mit denen die Stammesbewohner leblose Körper in den Tod begleiteten – in zeitgenössischer Kunst ist so eine Energie nur selten spürbar. Vielleicht haben die Museen und der Markt auch deshalb so lange gebraucht, um zu erkennen, dass Huma Bhabha etwas Besonderes ist, weil man noch nicht reif war für diesen dunklen, beunruhigenden Unterton in ihrem Werk. Heute aber, wo unsere Werte von Freiheit und Sicherheit ständig aufs Neue erschüttert werden, trifft sie genau den Nerv der Zeit.
Wir begeben uns in ein zweites Atelier nebenan, das Huma Bhabha vor drei Wochen eingeweiht hat. Endlich geht es ihr auch finanziell besser, doch das Geld will sie nicht gleich wieder in New Yorker Mieten stecken. Poughkeepsie ist ihr Ort – auch wenn das neue Studio darin mit dem feudalen Treppenaufgang seltsam deplatziert wirkt. Die Gliedmaßen eines enormen roboterhaften Körpers sind wie zur Autopsie auf einer Holzplatte montiert. Memories of the Future, so wolle sie die Arbeit nennen – wenn man sie aufrichtet, sehe es aus, als ginge sie durch die Tür, sagt Huma Bhabha. „Als ich in den Neunzigerjahren anfing“, sagt sie, „mochte niemand figurative Skulptur. Damals ging es um Ironie, Identität und Gender. Erst als zu Beginn der Nullerjahre Künstler wie Jonathan Meese, Thomas Houseago und Matthew Monahan auftraten, wurde meine Arbeit gesehen – dabei bin ich zehn Jahre älter!“ Doch 1989, nach ihrem Kunststudium an der Columbia University, wo sie ihren Mann kennenlernte und mit ihm in die Welt der Cartoons und Aliens eintauchte, waren ihre Themen einfach nicht angesagt. Die Filme, die sie sich anschauten und in ihre Kunst einfließen ließen, hießen Predator, Star Trek oder Jeepers Creepers, zu ihren liebsten Regisseuren zählten Andrej Tarkowski oder David Cronenberg. Die Fantasy-Figuren und die düstere Atmosphäre in diesen Filmen faszinierten sie – zumal deren Schöpfer auf Gebilde wie indische Stupas, Götterstatuen oder Verkleidungen zurückgriffen, wie sie indigene Völker bei ihren Ritualen anlegen. „Die Filme hatten für mich etwas Visionäres. Sie sind unglaublich kreativ gemacht und behandeln auf subversive Art die Angst und Paranoia gegenüber dem Fremden.“
Fremd war Huma Bhabha selbst, als sie 1981 nach Amerika zog. Geboren 1962 in Karatschi, war sie bereits als Teenager mit ihrer Familie nach Europa und in die USA gereist. Als Kind hatte sie die archäologischen Museen und buddhistischen Kultstätten in Pakistan besucht. Ihre Mutter war Künstlerin (eine ernsthafte, auch wenn sie nichts verkaufte), ihr Vater ein erfolgreicher Geschäftsmann, der mit Kühlschränken und Autos handelte. Huma lebte in geordneten Verhältnissen und konnte sich frei entfalten, auch wenn ihre muslimisch geprägte Heimat in Korruption versank und Karatschi einer kaputten Betonwüste glich. Schon früh begann sie Porträts zu malen. Und was sie in den Museen sah, faszinierte sie. Wenn sie heute nach Pakistan reist, fotografiert sie die Architektur dort – die man in ähnlicher Form in den Zukunftsvisionen von Filmen wie Terminator oder Stalker findet.
Doch Huma Bhabhas kulturelle Referenzen, die sie so offenherzig benennt, gehen weit über Kino und Archäologie hinaus. In der Sofaecke des neuen Ateliers liegen neben angegilbten Bildbänden über A. R. Gigers Alien und das anthropologische Nationalmuseum von Mexiko-Stadt auch Kataloge zu Medardo Rosso, Michelangelo und Auguste Rodin. Sie bewundere Giacometti, Picasso und Brancusi, die sich mit der primitiven Kunst befassten, sagt sie. Auch Baselitz, A. R. Penck und die deutschen Expressionisten finde sie toll, und dass da nun keine Frau dabei ist, sei ihr vollkommen egal. „Neulich war ich für einen Tag in London. Statt in die Tate Modern zu gehen, habe ich mir lieber eine Ausstellung von Markus Lüpertz angesehen.“
Es ist schon erstaunlich. Da steht diese Frau aus Pakistan und redet in höchsten Tönen über einen brachial-virilen Stammbaum, ohne sich ein einziges Mal vor Louise Bourgeois oder Rosemarie Trockel zu verbeugen, wie es bei vielen Künstlerinnen heute fast schon zur Pflichtübung gehört. Von der „Me too“-Debatte ist sie eher genervt, sie selbst wolle ja auch nicht nach Geschlecht und Hautfarbe bewertet werden. Am Ende gehe es nicht mehr um Kunst, sondern nur noch um eine Art Feigenblattpolitik. Mit dieser klaren Haltung hält sich Huma Bhabha die braven Kunstakteure um eine Armlänge auf Abstand. Vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb sie so unabhängig ein Werk entwickelt hat, das trotz seiner vielen Referenzen einzigartig ist.
„In meiner Arbeit gibt es Humor, aber keine Ironie“, sagt Huma Bhabha zu meinem Hinweis, dass ich bei vielen ihrer Figuren nicht weiß, ob ich lachen oder zusammenzucken soll. Allein diese teils comicartigen Köpfe, Füße und Hände und die Sprühfarbe im Graffitistil spielen auf eine Weise mit Hässlichkeit, wie sie in B-Movies den Blick der Zuschauer abwechselnd abstößt und fesselt. Nur dass Huma Bhabhas Skulpturen einem den Weg verstellen. „Ich mag vor allem die Filme, die vor den digitalen Spezialeffekten gedreht wurden, weil sie viel mehr Tiefe haben. Diese Wirkung interessiert mich.“
Ihre ersten Skulpturen aus Styropor und Maschendraht fotografierte sie in einer Art Setting im Atelier: Eine geisterhafte, Giacometti-dürre Gestalt verschmilzt mit einem Harry-Bertoia- Stuhl, eine andere reckt sich als plastikumhülltes Gerippe vom Küchentisch ins Licht wie in einen Todesstrahl. „Das ergibt einen sehr kinematografischen Effekt“, erklärte Huma Bhabha einmal in einem Interview mit der Künstlerin Julie Mehretu. „Ich dachte mir die Skulpturen als Teil eines Films und die Fotos als Filmstills, wie die frühen Arbeiten von Cindy Sherman.“
Heute wirken auch die mannshohen Figurenensembles wie Filmsets, die Huma Bhabha auf einer Art flachen Bühne inszeniert. … And in the track of a hundred thousand years, out of the heart of dust, hope sprang again, like greenness ist eine direkte Konfrontation im Raum mit zwei zerschredderten Menschmaschinen, die einander den Rücken zukehren. Und The Orientalist sitzt schmutzigsilbern auf seinem Thron oder Schleudersitz. Der marode, provisorische Charakter, den solche Statuen ausstrahlen, geht nicht nur darauf zurück, dass Huma Bhabha sich anfangs stabilere Materialien nicht leisten konnte und daher mit Gefundenem arbeitete. Er entspricht auch ihrer Sicht auf unsere auseinanderfallende Welt: Die lose gebastelten Hütten, in denen die Bauarbeiter in Karatschi ihren Tee kochen, oder die zerbrochenen Stadtland schaften von Pakistan bis Poughkeepsie – für Huma Bhabha ist unsere desolate Umgebung Sinnbild für das Ende der Welt, wie wir sie einmal kannten.
Bei alldem ist es ihr wichtig, die Skulpturen selbst anzufertigen. Selbst die Bronzeabgüsse auf dem Dach des Metropolitan Museum zeigen genau, wie die Künstlerin sie in Kork geschnitzt und Teile aus Ton geknetet hat. „Die Berührung mit dem Werk ist für mich essenziell. Ich mache alles selbst und lasse fast nichts fabrizieren.“ Die starke emotionale Ausstrahlung, die ihr Werk besitzt, hat viel mit diesem Anspruch zu tun. Es ist ein atmosphärisches Verständnis von Skulptur, kein grafisches, wie es andere Künstler vermitteln, die auf Primitivismus, Picasso und Popkultur verweisen. Huma Bhabha hat einmal eine für sie eindrückliche Szene aus Stalker beschrieben, in der ein Mann in einer zerstörten Landschaft liegt, zwischen herabgefallenen Kabeln und Benzinkanistern, neben ihm ein Hund: „Ich mag es, wie sich das zweidimensionale Filmbild in einen poetischen, emotionalen Raum überträgt.“
Das ist das Faszinierende an Huma Bhabhas Werk: Ihre Skulpturen und Zeichnungen sind Ausdruck von Fremdheit und Einsamkeit, ihre Gestaltung ist ephemer und verletzlich. Die Brachialität, die aus ihnen spricht, ist die von Frankensteins Monster, das sensibel ist und sich von den Menschen abgelehnt fühlt. Und so verkörpern ihre Figuren genau das, was unserer Welt heute immer mehr abgeht: Humanismus.
Offensichtlich hat ihr Leben in Poughkeepsie einiges zu diesem Gefühl beigetragen. „Unser Haus war erst schief und krumm. Jason arbeitete im Schlafzimmer und ich im Garten. Aber es half, in dieser industriellen Umgebung zu sein, weit weg von New York. Ich konnte hier gut experimentieren, und wir hatten unsere Ruhe vor dem ständigen Wettkampf, in dem man meint, sich beweisen zu müssen.“
Zurück in der Feuerwache, treten wir ein paar Schritte in den kleinen, eng ummauerten Garten hinaus. Eine verkohlte Skulptur mit knallgelben Augen ragt hier auf, um ihren Hals hängt eine Fahrradkette, die wuchtigen Füße sind in einer Bodenplatte verankert. Um sie herum sprießt Unkraut, dazwischen flattern lose Nylonfäden im Wind, ein Hundehaufen schimmelt vor sich hin. Hat die Künstlerin jetzt keine Zeit mehr zum Gassigehen? Huma Bhabha legt ihrer Skulptur zärtlich die Hand auf die Schulter. „Früher sah es auf der Bowery und Canal Street genauso aus wie hier“, sagt sie und wischt ein wenig Staub von der Bronze. Sie mag das raue Ambiente. Es ist eine brüchige Welt, in der sie lebt. Brüchig und brutal – aber voller Energie.