Katja Novitskova hat für ihre Generation das Schlagwort "Post Internet" geprägt. Jetzt stellt sie bei Kraupa-Tuskany Zeidler aus
Welt am Sonntag – 27. April 2014
Post-Internet. Seit dieses Wort 2009 zum ersten Mal in einem Kunst-Blog auftauchte, geisterte es sanft, aber bestimmt wie das Wischen auf einem Tablet durch den Szenesprech. Ende letzten Jahres mündete es dann in einer fulminanten Generationenschau im Kasseler Fridericianum: "Speculations on Anonymous Materials" behauptete das Ende von Utopien und Künstler-Egos zugunsten einer Ansammlung von angekokelten Yogamatten, Tierbildern aus dem Netz, wild bemalten Flat-screens, Skulpturen aus dem 3-D-Drucker in Form von Silikonhänden und durchbohrten Duschgelflaschen, aus denen es tropfte wie einst aus Pollocks Pinsel. "Alles Künstler, deren Arbeit auf Internetrecherchen und neuer Technologie basiert", sagt Katja Novitskova, die bereits 2011 den "Post Internet Survival Guide" mit Abbildungen von 50 Künstlern herausgegeben hat – ihre Abschlussarbeit an der Amsterdamer Rijksakademie, erstaunlicherweise auf Schwarz-Weiß-Papier erschienen statt als App.
"Die Idee des Alterns ist allen Trends bereits inbegriffen – in Kunst ebenso wie in Handys." Geboren 1984 in Estland und ganz selbstverständlich aufgewachsen mit der virtuellen Realität, sitzt das Internet direkt hinter ihrem Sehnerv: Fotos von putzigen Pinguinen, bizarren Reptilien oder exotischen Vögeln, die im Netz fast genauso beliebt sind wie Sex, zieht die Künstlerin groß auf Aluminium und stellt sie in den Raum, wo sie in etwa so attraktiv wirken wie Werbetafeln in einer Fußgängerzone. Doch die digitale Wegwerfästhetik ist Programm: "So schnell sich die Konsumtechnologie entwickelt, so schnell veraltet sie auch. Selbst wenn sie heute immer besser an unsere Gefühle angepasst wird", erklärt Novitskova. "Damit Computer in Zukunft direkt mit unseren Stimmungen interagieren können, schauen die Forscher nicht nur auf unsere Bindungsschemata, sondern auch auf das Verhalten der Tierwelt. Doch selbst ein Wurm ist so komplex, dass man ihn nicht so ohne Weiteres imitieren kann. Die Natur ist der Technik also immer noch weit voraus."
Wenn man bedenkt, wie sich ein Hubschrauber zu einer Biene verhält, versteht man in etwa, was die Künstlerin umtreibt: Die nicht ganz neue Frage, wie viel Schönheit und Gefühl wohl in Maschinen stecken kann. Der Vintage-Charakter von Frankensteins Monster und HAL aus Stanley Kubricks "2001: Odyssee im Weltraum" ist darin bereits angelegt. Und natürlich hat der neue Hang der Kunst zu Fake-Welten bereits eine theoretische Firewall errichtet: "Spekulativer Realismus" – ein Begriff, der erstmals 2007 am Londoner Goldsmiths College fiel – war in Kassel Thema eines Symposions, das sich an eine junge philosophische Denkrichtung anlehnte, in Abkehr zu den subjektiven Konstruktionen der Postmoderne. Die Welt, so die nüchterne Annahme, existiert auch ohne die Perspektive des Betrachters.
Man könnte es auch so ausdrücken: Auf Jean-François Lyotards "Ende der großen Erzählungen", deren autoritäre Welterklärungsprinzipien von einer Vielfalt privater Mythologien beerbt wurden, folgt heute der Protokollstil einer Generation, die sich eher für Naturwissenschaften und Marketingstrategien interessiert als für geistige Utopien und gendersensible Identitätssuche. Tatsächlich hatte die Schau in Kassel etwas von Forschungslabor, Fetischstudio und Filmkulisse. Und auch Novitskova bewahrt eine ziemlich unemotionale Haltung, wenn sie Bilder von lustigen Lebewesen gedanklich mit menschlichen Gefühlsmustern paart und die Brücke schlägt zu Technologie und Werbung, um alles in Fragmente aus digitalen Dioramen zu verwandeln.
Zum Gallery Weekend Berlin dreht sie diesen Ansatz in der Galerie Kraupa-Tuskany Zeidler – die so etwas ist wie die Brutstätte einer Reihe von Digital Natives – noch etwas weiter: Das Abbild eines Marabus versinkt hier in rotem Sand, während ein Flachbildschirm an der Wand eine ähnliche Szene wiedergibt – als Liveübertragung aus dem Keller des Verwaltungsbaus, in dem die Galerie beheimatet ist. Mit der Filmkulisse, die Novitskova dort aufgebaut hat, deutet sie die Verschwörungstheorien von der im Studio fingierten Mondlandung auf die geplante Marsmission um: eine Reise ohne Rückkehr, für die sich schon heute 50.000 Menschen als Freiwillige gemeldet haben. Ein weiterer Verweis darauf sind die museal inszenierten Baumarkt-Tontöpfe, auf denen drei insektenhafte Marsroboter abgebildet sind. Sie senden regelmäßig Fotos an die Erde, die man im Internet einsehen kann. Metaphorisch betitelt haben die Forscher sie mit "Spirit", "Opportunity" und "Curiosity": "Eigenschaften, die den Menschen in seinen Emotionen und seinem Forschungsdrang ausmachen", erläutert Novitskova und liefert damit auch gleich die Formel für ihr eigenes Analysemodell. Dass in den Galerieräumen zudem überall rote Gummipfeile auftauchen, die aussehen wie wild gewordene Börsenindikatoren, macht die Schau endgültig zu einer Mischung aus "Tagesschau" und Science-Fiction-Setting.
Im Grunde ist diese Kunst als Weiterführung von Pop und Appropriation Art mit anderen Mitteln zu verstehen: Novitskova gleitet smart durch die Fundstücke der Gegenwart und enttarnt sie als albtraumhaft-cleane Psycho-Requisiten. Die Attraktivität von Mars und Marabu schlägt um in Abweisung, mit der ihre Objekte den surrealen Filmprothesen eines David Cronenberg näher sind als den leckeren Bildverwertungsmaschinen eines Richard Prince oder Andy Warhol. Keine Frage: Die Durchschnittstemperatur des Mars von minus 55 Grad fühlt sich plötzlich sehr plastisch an.
© Gesine Borcherdt