Keine Kunst für Öl
/ artnet

Nonna Materkova zeigt in London was Mäzenatentum auch sein kann

„The Forgetting of Proper Names” – mit Wojciech Bąkowski, Anna Molska, Agnieszka Polska, Calvert 22, London. Vom 25. Januar bis 18. März 2012

artnet – 3. Februar 2012

Shoreditch ist ein guter Ort für Kunst. Die Finanzberaterin Nonna Materkova hat das schon vor drei Jahren erkannt – und genutzt. Aber nicht, um die Mieten hochzutreiben. Sondern um hier selbst einen kulturellen Beitrag zu leisten. Mit Calvert 22 betreibt sie im Londoner Osten, unweit der Galerien am Hoxton Square und der hippen Modeläden rund um die Brick Lane, einen Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst aus Osteuropa, Russland und Zentralasien. Aha, denkt man, ein Showroom mit Moskauer Bling-Bling. Doch weit gefehlt. Das hier ist nicht die Spielwiese einer ambitionierten Oligarchengattin. Sondern ein Beispiel für Philantropie in bestem Sinne.

„Die Idee ist so einfach!“ freut sich Materkova, die als Tochter einer Mathematikerin und eines Seefahrers vor 13 Jahren mit einem Stipendium von St. Petersburg nach London kam. „Aber vor mir war noch niemand darauf gekommen.“ Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin sieht in ihrem langen Schwarzen fast beängstigend perfekt aus. Die Haare honigblond und rundgeföhnt, umschmeicheln sie ein zeitloses Puppengesicht, das warmherzig lächelt. In ihrer Heimat war ihr Arbeitgeber der liberal gesinnte Finanzminister Alexei Kudrin. In der britischen Hauptstadt machte sie sich bald mit ihrer Beratungsfirma Roslink selbstständig. Dann nahm sie ein Bekannter mit in eine Ausstellung – der Beginn einer Freundschaft auf Augenhöhe: Calvert 22 liegt im Erdgeschoss eines Gebäudes, das sie teuer vermieten könnte;; doch bei Kunst geht es der Self-Made-Lady weder um Investment noch um Repräsentation. Stattdessen öffnen hier renommierte Gastkuratoren wie David Thorp oder Marc Nash und die neue Hauptverantwortliche Lina Džuverovic mit ICA- Erfahrung den Blick für Konzeptkunst aus dem Osten – derzeit mit der Schau „The Forgetting of Proper Names“. Videos und Performances der jungen Polen Wojciech Bąkowski, Anna Molska und Agnieszka Polska: Nicht gerade Kunst mit massenkompatibler PR-Wirkung.

„Ich bin keine Expertin, aber ich weiß, dass ich keine Kunst mit Schock-Effekten mag. Poesie kann ja auch eine politische Aussage treffen“, erklärt Materkova auf die Frage, weshalb sie sich als Einsteigerin gleich der schwierigen, oft spröden Kunst verschrieben hat. Auch bei dem Thema eigene Sammlung winkt sie ab. Obwohl ihre Erscheinung einer gewissen Exzentrik nicht entbehrt: Ihr geht es weniger um sich selbst als darum, anspruchsvolle Kunst aus ihrer Heimat zu zeigen.

Keine Selbstverständlichkeit in einem Betrieb, der nicht nur Materkovas Landsleuten gerne dazu dient, sich in die globale Szene aus Geist und Glamour einzukaufen – und so von zwielichtigen Geschäften abzulenken. Schließlich hat niemand etwas dagegen, wenn einer sein Vermögen in Galerien statt in Autohäuser trägt. Doch die Frage, woher es kommt, ist aus dem Blickfeld gerückt. Stattdessen wird, wenn es ums Mäzenatentum aus dem ehemaligen Ostblock geht, in der so politisch denkenden Kunstwelt immer wieder bei denselben Namen andächtig genickt.

Allen voran Victor Pinchuk. In den chaotischen Neunzigern baute der Ukrainer, den „Forbes“ zu den reichsten Menschen der Welt zählt, ein Imperium aus Stahlfabriken auf – und untermauerte seinen Einfluss, als er die Tochter des Präsidenten Leonid Kutschma heiratete. Als Julija Timoschenko 2005 ans Ruder kam, entzog sie nicht nur der Vetternwirtschaft den Boden, sondern nahm Pinchuk die staatliche Stahlfabrik weg, die er im Zuge der vielen illegalen Privatisierungen im Land zum Schleuderpreis erworben hatte, und verkaufte sie für eine Rekordsumme. Während sein Schwiegervater mit dem Tod eines Journalisten im Jahr 2000 in Verbindung gebracht wurde, überlegte Pinchuk, was er gegen die Anklage weiterer Vorteilsnahmen tun konnte – und stürzte sich ins Mäzenatentum.

Heute ist die „Victor Pinchuk Foundation“ eine weltweit operierende Privatarmee. Zu seinen Freunden zählen Steven Spielberg, Elton John, Miuccia Prada und Bill Clinton. Aus der Kunstwelt ist ihm praktisch die gesamte Elite zugelaufen: Darunter Sir Nicholas Serota, Okwui Enwezor, Olafur Eliasson, Larry Gagosian – manche von ihnen sitzen im Board des mehrstöckigen Pinchuk Art Center im Zentrum Kiews, wo der deutsche Museumsveteran Eckhard Schneider Blockbuster von Anish Kapoor bis Jeff Wall ausstellt; die Erweiterungspläne liegen bereits auf dem Tisch. Von Pinchuks Konto werden auch die 100.000 US-Dollar für den weltweit höchstdotierten Preis für heiß gehandelte Nachwuchskünstler abgebucht. Um sich nicht nur im Ausland Freunde zu machen, verleiht Pinchuk – dessen Hauptgeschäft mit der Investmentberatungsfirma EastOne Group in London sitzt und dem in seiner Heimat die Stahlfirma Interpipe Group und vier TV-Kanäle gehören – nun auch einen Award an junge ukrainische Künstler. Wie lässig er die schampuslaunige Top-Liga aus Kunstmarkt und Museen ins Boot gezogen hat, erstaunt nur einen Moment. Wer kann schon widerstehen, wenn einer mit einem 15 Millionen Dollar-Scheck pro Jahr in die Kunstwelt hineinwinkt?

Auch Roman Abramowitschs Leben hätte sich Francis Ford Coppola nicht besser ausdenken könnten. Der Mann mit dem milden Lächeln kommt aus Komi, dem rauhen, rohstoffreichen Norden Russlands. Mitte der Neunzigerjahre gelangte er in die dubiosen Kreise um den damals mächtigsten Tycoon des Landes, Boris Beresowski: Der einstige Förderer Putins hatte ebenfalls durch illegale Privatisierungen von Staatseigentum Milliarden verdient;; heute genießt er politisches Asyl in Großbritannien. In seinem Dunstkreis baute Abramowitsch – ebenfalls in London ansässig, wo er 2003 den Fußballclub FC Chelsea für 210 Millionen Euro übernahm – ein Firmenimperium auf, zu dem unter anderem das Ölunternehmen Sibneft gehörte. Gemeinsam mit Beresowski hatte er es in einem eigens arrangierten Bietgefecht vom Staat ersteigert, bevor er 2005 seine Anteile an Gazprom, einem Kunden von Pinchuks Interpipe, verkaufte.

Zur Kunst kam Abramowitsch vor rund sechs Jahren durch seine Lebensgefährtin Daria, genannt Dasha Zhukova, Jahrgang 1981 und Tochter eines Moskauer Geschäftsmannes, der Anfang der Neunziger Öl ins Ausland exportierte: Ein Geschäft, das nicht unbedingt für seine Lauterkeit bekannt ist – weshalb er seine Familie sicherheitshalber nach Kalifornien schickte. Hier wuchs Zhukova praktisch als Amerikanerin auf. Beflügelt vom Glamour in Kunst und Mode, gründete sie 2008 den gefeierten Ausstellungsraum Garage in Moskau, wo sie sich hauptsächlich für angesagtes Establishment einsetzt: Zum Beispiel mit Ausstellungen von Marina Abramovic, Francesco Vezzoli, Ilya und Emilia Kabakov, AES+F, Gruppenschauen wie „Russian Utopia“ oder Werken aus der Sammlung des französischen Luxus-Magnaten François Pinault. Nachdem sie letztes Jahr das Magazin „Garage“ lancierte, für das schon Hedi Slimane gemeinsam mit Damien Hirst die Covergestaltung übernahm, steht nun eine Dependance in St. Petersburg an, wo Zhukova und Abramowitsch die Insel New Holland gekauft haben. Dass Abramowitsch für seine Freundin auch Kunstwerke für Rekordpreise ersteht – darunter Lucian Freuds berühmtes Gemälde Benefits Supervisor Sleeping für rund 25 Millionen Euro und Francis Bacons Tryptich für rund 65 Millionen Euro – gehört da nur noch zum guten Ton. Obwohl die beiden nicht in ihrer alten Heimat leben, sondern primär in London, schinden sie damit Eindruck in russischen Machtkreisen.

Auch Stella Kesaeva ist eine Powerfrau im Kunstbetrieb, die wie ihr Mann Igor Kesaev aus Südossetien stammt. Kesaev machte ebenfalls sein Glück in den Neunzigern und importierte Zigaretten und Alkohol; heute ist seine Firma Mercury Russlands wichtigster Tabakhandel. Außerdem investierte er in Immobilien – zusammen mit dem prominenten Milliardär und Kunstsammler Shalva Chigirinsky war er der Vorbesitzer von New Holland, bevor ihre Firma 2009 pleiteging. Zuvor war Kesaev als Diplomat tätig gewesen, weshalb er und seine Frau vorübergehend in den USA lebten. Stella Kesaeva tauchte in New York in den Kunst-Jetset ein und beschloss, 2004 in Moskau eine Galerie zu gründen. Als erste Oligarchengattin, die in Kunst machte, schlug ihr jede Menge Spott entgegen, doch sie gab nicht auf: Unter dem Pseudonym Stella Kay förderte sie russische Künstler, kaufte ihre Arbeiten und stellte sie aus, während sie gleichzeitig internationale Kunst nach Russland holte. Doch 2007 verschwand sie plötzlich aus der Kunstszene. Erst anderthalb Jahre später tauchte sie wieder auf, um anzukündigen, dass sie ihre eigene „Garage“ eröffnen wollte – was nie geschah. Dass sie stattdessen 2010 als Kommissarin des russischen Pavillons auf der Biennale von Venedig ernannt wurde, und das gleich für drei Ausgaben, ließ laut Insidern selbst ihre engsten Befürworter zusammenzucken: Das Ganze roch nach Verkauf des Pavillons, der nun an den höchsten Bieter gegangen war. Zwar hatten Privatiers schon in den letzten Jahren die Finanzierung übernommen, doch bisher hatte sich niemand selbst als Direktor eingesetzt. Dass dieser Schritt im Einklang mit dem russischen Kulturministerium geschah, legt den Verdacht nahe, dass hier nachgeholfen wurde – was Kesaeva in den Kunstkreisen ihrer Heimat nicht gerade zu neuem Respekt verhalf. Trotzdem setzte sie das Magazin „Art+Auction“ im letzten Dezember auf die Liste der Power Players im Kunstbetrieb. Schließlich zeige ja „die Wahl des geachteten Theoretikers und Kritikers Boris Groys zum Kurator ihre ernsthaften ästhetischen Absichten.“

Bei all dem erscheint Nonna Materkovas Calvert 22 wie ein elegantes Studienzentrum. Das Publikum sieht so unprätentiös aus, als hätte man es direkt aus einer philosophischen Lesung in die Ausstellung gekippt: Wissenschaftler, Kuratoren, Künstler, Studenten, Neugierige drängen sich zur Vernissage durch die Räume. Als Nonna Materkova eine kleine Rede hält und ihre Kuratorin nachlegt, ist es völlig still. Dann brandet Applaus auf, Stimmen flirren, man blättert durch Broschüren, diskutiert, steht geduldig vor Videoleinwänden – oder betrinkt sich einfach nur mit Champagner. Den gibt es bei Calvert 22 nämlich auch.

© Gesine Borcherdt