Kurt Kocherscheidt ist kein vergessener Maler. Er wurde gar nicht erst bekannt. Nun entdeckt die Galerie CFA in Berlin seine bizarren Bilder.
Die Welt – 4. Januar 2014
Wiederentdeckungen sind angesagt. Nach dem jahrelangen Hype um junge Kunst geht der Blick der Galerien heute oft zurück zu den vergessenen Helden der Fünfziger- bis Achtzigerjahre. Die Galerie Contemporary Fine Arts greift diesen Trend auf – und hat sich nun jemanden ins Haus geholt, der nicht nur fast vergessen war, sondern eigentlich nie groß präsent: Kurt Kocherscheidt, geboren 1943 in Klagenfurt in Österreich, war einer, der eher im Verborgenen werkelte.
Nach seinem Studium an der Wiener Akademie 1968 gründete Kocherscheidt zwar die Malergruppe „Wirklichkeiten“ mit, stellte später in Galerien in Wien, Berlin und Düsseldorf aus und landete in diversen Sammlungen. Doch er wusste schon früh, dass er nicht alt werden würde; tatsächlich wirkt seine Malerei, als läge ein Schatten über ihr. Ende 1992 starb Kocherscheidt nach drei Bypass-Operationen und einem dritten Herzinfarkt – kurz nachdem seine Karriere mit der Teilnahme an Jan Hoets documenta IX einen Schub bekommen hatte.
Lange tat sich danach nichts. Im vergangenen Herbst dann richtete das Essl Museum in Klosterneuenburg bei Wien eine Retrospektive aus, von der die Galerie nun Teile übernommen hat. In beiden Fällen kuratiert von Museumsveteran Veit Loers, setzt Contemporary Fine Arts damit auf einen Imagetransfer, der die Galerie zum Museumsraum adeln soll; zudem stehen nur die wenigsten Werke – nämlich die aus dem Nachlass – zum Verkauf. Die meisten sind Leihgaben von Liebhabern, die den Maler früh gefördert haben; so wie der Sammler Franz Armin Morat, der ihm ein Atelier an der ligurischen Küste bezahlte.
In Italien arbeitete Kocherscheidt, wenn er von seinem Gehöft im Südburgenland einmal Abstand brauchte. 19 Jahre lang, bis zu seinem Tod, lebte er dort – verheiratet mit der Fotografin Elfie Semotan, mit der er zwei Söhne hatte und die später die Frau von Martin Kippenberger wurde.
Was in Kocherscheidts Atelier entsteht, hat allerdings mit der Kunstszene Ende der Siebziger nicht viel zu tun. Malerei wird nach der langen Ära der Konzeptkunst gerade erst wieder entdeckt und geht in Richtung kühl durchdachtem Neo-Geo. Zudem kommt mit Kippenberger, Werner Büttner und Albert Oehlen eine Ironierotzigkeit ins Spiel, gegen die sich Kocherscheidts Bilder lesen wie Existenzialismus auf LSD: Fragmentierte, in düsteren Räumen verteilte Dinge, gespeist aus dem Jargon der Eigenartigkeit, mit Anklängen an Francis Bacon, Max Beckmann oder Philipp Guston (*zu Guston siehe auch Text rechts*). Es sind Bilder, die in keine Sparte passen – eindringliche Traumwelten, irgendwo zwischen Naturstudie, Mystizismus und schrundiger Halbabstraktion.
Kocherscheidts neunmonatige Reise durch Südamerika im Jahr 1972, auf der er die Urwälder von Brasilien und Ecuador durchstreift, Feuerland und Patagonien, sitzt ihm geradezu Werner-Herzoghaft in den Knochen: Er malt organische Strukturen, aus denen man die Fäulnisgase zu riechen meint. Anfangs bilden sie sich kleinteiliger und stärker konturiert heraus, später schweben weich geformte Scheiben und Spiralen über monochrome Leinwände. Muster und Fragmente von Insekten und Pflanzen haben die Farbe von Schmutz oder Staub.
„Vorzeichen“ lautet der Titel einer Arbeit von 1978, dem Jahr seines ersten Herzinfarkts, die wirkt wie paläontologisches Strandgut. „Schwarzmacht“ heißt eine andere: Hier baumeln Gegenstände köderartig von der Decke herab. Bald breiten sich vegetabile Strukturen über die Bildflächen aus, dicke schwarze Ränder wie Äste oder Figuren – man denkt an A.R. Penck –, bis sich einzelne große Zapfen herausbilden, dann Rechtecke und kleine Rauten. Die Bildfläche wird pastoser, eruptiver, an der Schwelle zum Informel, wie es Arnulf Rainer nach dem Krieg in Österreich eingeführt hatte und das in den Achtzigern ein Revival erlebt.
Dennoch zelebriert Kocherscheidt keine abstrakte Malerei. Es sind Abbilder innerer Zustände, hineingestülpt in Naturformen; Archetypen, angelehnt an mythologische Themen, die er in der Werkserie „Kolchis“ auf die Spitze treibt. Schwarze Masken werden angedeutet, als hätte Picasso mit seiner Vorliebe für die Songuye-Fetische aus dem Kongo Pate gestanden. Sie schweben jetzt auf glattem oder geschrubbten, jedenfalls schnell gemaltem Grund. Kocherscheidt spürt: Viel Zeit hat er nicht mehr. Er stirbt, kurz nachdem er auf der Insel Syros auf dem Anwesen seines Galeristen Michel Würthle, heute Chef der Berliner „Paris Bar“, seine größte Holzarbeit – „Das Tor der Winde“ – errichtet hat.
Es ist die Haltung, die Kocherscheidts Oeuvre einen so finsteren und hermetischen Ausdruck verleiht. Von Beginn an wirken seine Bilder wie Menetekel. „Die Natur ist gewalttätig hier, voller Elend. Es gibt nur eine Harmonie, und die besteht im kollektiven Morden. Doch ich sage das voller Bewunderung für den Dschungel“, erklärte Werner Herzog einmal, als er im Urwald drehte. Sehr wahrscheinlich, dass Kurt Kocherscheidt die Wildnis seiner Seele auch so sah.
© Gesine Borcherdt