13. Januar – 12. März 2017
„What we know as computer art began on a December morning in 1968 when Lillian Schwartz grasped a light pen and began to draw.“ (Arno Penzias, Leiter der Bell Laboratories New Jersey) Lillian Schwartz (geboren 1927 in Cincinnati, U.S.A., lebt in New York City) ist eine zentrale Pionierin computerbasierter Kunst. Von 1968 bis 2001 arbeitet sie in den Bell Laboratories, dem Recherchezentrum von AT&T in New Jersey als einzige Frau und Künstlerin zwischen Informatikern, Chemikern und Physikern – und entwickelt Filme, die den Weg bereiten für die Ästhetik und den Gebrauch von Computergrafiken, Video und 3D Animation. Sie erweitert damit nicht nur die Möglichkeiten der Kunst, sondern beeinflusst auch den Bereich der Videospiele, Special Effects und virtueller Realität. Die Einladung ans Bell Lab erfolgt nach ihrer Teilnahme an der von Pontus Hultén kuratierten Ausstellung „The Machine as Seen at the End of Mechanical Age“ 1968 im New Yorker MoMA. Dort zeigt Schwartz eine interaktive Lichtskulptur, deren Glasglocke in pulsierenden Rhythmen die Farben wechselt. Diesen Ansatz entwickelt Schwartz im Bell Lab filmisch weiter. An ihrem Arbeitsplatz zwischen Monitoren, Kabeln und blinkenden Lichtern experimentiert sie mit dem Lichtstift und entdeckt den „technologischen Pointillismus“. Sie kollaboriert mit Wahrnehmungsexperten, Physikern und Chemikern, deren Abfalleimer voller Atomzeichnungen und Materialproben sie regelmäßig für ihre Bildideen durchforstet. Schwartz arbeitet in einer Zeit, in der Künstler mit Konzepten und dem eigenen Körper arbeiten – neue Technologien gelten für viele als tabu; sie werden als Symbole des Kapitalismus gesehen, die vor allem kommerziellen Zwecken dienen. Doch für Schwartz ist der Computer ein Instrument, um künstlerische Visionen mit wissenschaftlicher Präzision zu verknüpfen. Sie erkennt seine Fähigkeiten, unsere Gedanken vorauszusehen – und weiß zugleich, dass er keine eigene Kreativität besitzt. Schwartz’ Arbeit ist weder formalistisch noch konzeptionell motiviert. Sie basiert auf Forschergeist und intuitiver Hingabe an die Interaktion von Farben und Formen, die sie, unterlegt mit synthetischen Soundtracks, in hypnotische Spektakel verwandelt. So gießt sie bei Pixillation (1970) Pigmente auf von unten beleuchtete Glasplatten, die sie von oben filmt: Es entstehen grafische und amorphe Formen, die mal an Lava-Lampen und Farbfeldmalerei denken lassen, dann an außer Kontrolle geratene Computergrafiken. Für Mutations (1972) generiert sie Filmbilder aus Laserstrahlen – sie erinnern an Tiefseeaufnahmen, Ektoplasma oder frühe Videospiele wie Pac-Man. Gei Galaxies (1974) verwandelt sie Satellitenaufnahmen sie in eine Welt zwischen LSD-Trip und 2001 Space Odyssee. Schwartz’ Werk ist stark von ihrer eigenen Biografie geprägt. Aufgrund einer Augenkrankheit, die sie Farbe und Tiefe nicht vollständig erkennen lässt, entwickelt sie Techniken, die die Farbsättigung an ihre Grenzen treibt: Viele ihrer frühen Filme der 70er-Jahre können in 2D und 3D gesehen werden, ohne dass die Pixel sich verschieben – eine Technologie, die offiziell erst 20 Jahre später erfunden wurde. 1949 zieht Schwartz nach Japan, wo ihr Mann als Arzt stationiert ist. Dort erkrankt sie an Polio – ein Zen-Lehrer lehrt sie Kalligraphie, wodurch sie die Lähmung überwindet. Zunächst aber kann sie nur reglos auf die verschiedenen Pinsel blicken. „Ich lernte in meinem Kopf zu malen, bevor ich nur einen Strich aufs Papier gebracht hatte“, sagt sie. Es ist der Ursprung ihrer Arbeit als Filmemacherin im Bell Lab. Lillian Schwartz hat international in zahlreichen Institutionen ausgestellt, darunter im Museum of Modern Art und Whitney Museum New York, im Stedelijk Museum Amsterdam und im Centre Pompidou Paris. Zuletzt waren ihre Werke u.a. in den Ausstellungen „Digital Revolution“ im Barbican Centre London und „Ghosts in the Machine“ im New Museum sowie als Solo-Schau in der Galerie Magenta Plains in New York zu sehen.
Text: Gesine Borcherdt, Kuratorin von Capri
Courtesy by the artist; CAPRI; photo: Achim Kukulies