Martha Rosler im Jewish Museum
/ Die Welt

Was bedeutet es, wenn man sagt, eine Ausstellung kommt genau zur richtigen Zeit? Dass sie ein aktuelles Phänomen besser spiegelt, als bloße Erklärungen es je könnten? Dass ihre Metaphern unter die Haut kriechen, wo Fakten einen kaltlassen? Dass sie den Finger in die Wunde legt? In einer Welt, in der Bilder, Information und Meinungen ständig und überall ungefragt aufpoppen, wirkt das Format „Ausstellung“ beinahe überholt.

 

 

Und Kunst, die dieser Welt noch etwas erzählen will, hat es extrem schwer, wie man an der trostlosen letzten Documenta in Kassel sah. Aber dann betritt man das Jewish Museum in New York, und es trifft einen der Schlag.

 

Martha Rosler, amerikanische Ikone der Konzeptkunst, zeigt hier eine Werkschau, die mehr ist als eine Ausstellung. Sie ist Zeugnis eines grandiosen Scheiterns der Kunst angesichts einer knallharten Realität – und zugleich Beweis für ihre unbändige Kraft, immer wieder aufzustehen.

 

Seit den frühen Sechzigerjahren seziert Rosler Konsum, Krieg, Medien, Rassismus und Sexismus in messerscharf pointierten Collagen, Filmen und Installationen. 

 

Das Amerika von Donald Trump: Es war nicht ahnbar, als sie damit begann, Fotos von Opfern des Vietnamkrieges in die sauberen Wohnzimmer-Werbebilder der weißen Mittelschicht zu kleben. Und doch ist es heute, als hätte sich nichts geändert.

 

Da steht ein Mädchen mit amputiertem Bein mitten auf einem weißen Teppich vor moderner Sitzgruppe. Ein Mann hält sein totes, ausgemergeltes Kind auf dem Arm, dahinter öffnet sich ein heller Raum zur Veranda, in der Ecke bunte Ballons. Ein gestriegeltes Ehepaar liegt auf blumiger Matratze, die Frau blättert in einem Werbekatalog, der Mann lässt über dem kleinen Sohn ein Kampfflugzeug mit US-Flagge kreisen. Rosler hat die Szene in ein ausgebombtes Zimmer versetzt, in das die Flut gedrungen ist.

 

Die heile Welt, der amerikanische Traum, das traute Heim und der Krieg als virile Statussymbole, denen die Frau sich unterzuordnen hat – Rosler zerstört das Bild von Freiheit und Wohlstand, das Amerika in die Welt hinausträgt, mit schwärzestem Humor.

 

„House Beautiful: Bringing the war home“ hat sie die Serie genannt, an der sie zehn Jahre lang arbeitete: eine Anspielung auf den ersten sogenannten Wohnzimmerkrieg, in dem allabendlich Bilder von Bomben und Toten über den Fernsehschirm flackerten. Das Politische war plötzlich privat und umgekehrt.

 

Die ersten Collagen entstanden 1962, im Jahr, als Andy Warhol seine Marilyns, Campbell’s Suppendosen und Car Crashs auf bunten, wandfüllenden Siebdrucken aufzog – sie sind gerade in seiner Retrospektive im Whitney Museum zu sehen und locken mehr Besucher an als Macy’s in der Vorweihnachtszeit. Wie der Factory-Star hielt Rosler einer bigotten Konsumgesellschaft mit Medienbildern den Spiegel vor.

 

Doch ihre Kunst war schon damals zu krude, als dass sich jemand anderes als eine feministische, linksakademische Szene dafür interessiert hätte. Sie zeigte sie bei Protestmärschen und druckte sie in Underground-Zeitungen ab – ein Umfeld, das Rosler als Kunststudentin im kalifornischen San Diego geprägt hatte.

 

Lange fand keine Galerie den Mut, so etwas zu präsentieren. Am Markt relevant wurde Rosler erst, als der Galerist Christian Nagel sie 1998 in sein Programm aufnahm. Als sie ihre Fotomontagen während des zweiten Irakkriegs neu auflegte, diesmal mit blonden Sexbomben im Selfie-Fieber, hinter denen tote Kinder auf Eames-Chairs lagen, rümpfte die Kunstwelt die Nase, ob ihr denn nichts Neues einfiele.

 

Doch alte Formen mit aktuellen Bildern zu füllen ist bei Rosler keine Hilflosigkeit. Es ist ein Signal, dass sich an den Verhältnissen nichts geändert hat. Rosler ist pazifistische Aktivistin, linke Theoretikerin und Vorreiterin einer politischen, schwarzhumorigen Konzeptkunst, ohne die Rosemarie Trockel, Thomas Hirschhorn oder Monica Bonvicini nicht denkbar wären.

 

Jede brave Beflissenheit geht ihr ab, Moralismus ist kein Kriterium. Die Ausstellung konfrontiert einen mit Roslers satirischem Scharfsinn, ihrem unglaublichen Gespür für die Symbolkraft von Bildern und ihrem Verdienst, auf der Schwelle zwischen Pop und Minimal Art eine neue Sprache entwickelt zu haben. Die ist breit gefächert.

 

Für „Diaper Pattern“ spannte Rosler 1973 dreißig Stoffwindeln ihres Sohnes als minimalistisches Patchwork auf die Wand, darauf gekritzelt Sätze wie „Der Chemiekonzern Dow war stolz, den Krieg durch Napalmproduktion zu unterstützen, auch wenn das sein Image zu Hause beschädigte.“ Die Verquickung von Krieg und Wirtschaft, nationalistischer Rhetorik und Hausarbeit auf den Windeln des eigenen Kindes auszutragen – das war provokant, mutig und konfrontativ.

 

Rosler wählte Zitate, die Menschen bloßstellen, die den eigenen Vorteil herausstellen und dabei so stupide klingen, dass man andauernd an Trump denken muss. Ob Rosler es wollte oder nicht: Der amerikanische Präsident und #MeToo sind die Hintergrundmusik dieser Schau. Wer auf ihre Kunst blickt, spürt eine neue Angst und eine empfindliche Alarmbereitschaft.

 

Da sind die 16-mm-Filme in Kodakcolor, auf denen Wäsche im Garten von der Leine baumelt wie eine Reihe Gehenkter. Die Installation aus Damenunterwäsche mit Watte gestopft, als wären es Stofftiere oder Sofakissen. Die riesige Prothese, die von der Decke schwingt wie ein schaukelndes Kinderbein.

 

Fotografien von Flughäfen, Stadtautobahnen und Menschen aus ihrer Heimat Brooklyn erzählen von schneller Gentrifizierung. Es sind Aufnahmen in der Tradition von Ed Ruschas Tankstellen und Gebäuden auf dem Sunset Strip, die nüchtern und beiläufig wirken, doch dabei von Einsamkeit, Unterdrückung und Entwurzelung erzählen.

 

Und wenn sie in ihrem berühmten Video „Semiotics of the Kitchen“ das Alphabet anhand von Küchengeräten in die Kamera sagt, was wirkt, als würde mit jedem Buchstaben jemand kastriert, kann man nicht anders, als das Ganze als Kommentar auf die lange unterdrückte Wut der Frauen zu lesen, die damals nicht anders war als heute.

 

Die Künstlerin unterstützte sogar die Entscheidung des Museums, seinen Direktor, den Kurator Jens Hoffmann (der sie zu dieser Schau einlud), zu entlassen, als ihn letztes Jahr mehrere Mitarbeiterinnen der sexuellen Belästigung bezichtigten.

 

Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir noch zu nah dran sind, wenn Roslers neueste Arbeiten mit direktem Donald-Trump-Bezug nicht zu ihren stärksten zählen. Und doch wirken sie wie eine Konsequenz aus allem, was die Künstlerin je gemacht hat. „Point & Shoot, a mourning thought (though I am more enraged than in mourning)“ ist ein Digitaldruck, auf dem der Präsident mit dem Zeigefinger in die Kamera zielt, im Hintergrund amerikanische Flaggen – und die Namen der von Polizisten ermordeten Schwarzen, Latinos und Menschen indigener Abstammung.

 

Rosler hat sie hineingebaut und Trumps Satz blutrot darübergelegt, den er 2016 in einem christlichen College in Iowa sagte: „Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen und ich würde keine Wähler verlieren, okay? Das ist echt unglaublich.“

Das Jewish Museum liegt an der Fifth Avenue. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass viele wohlhabende Unterstützer der New Yorker Museumsmeile Trump gewählt haben – und das auch wieder tun würden. Kunst kann die Welt nicht verändern, das demonstriert diese Ausstellung mit sisyphoshaftem Trotz.

Damals Nixon, jetzt Trump, früher die Frauenbewegung, heute #MeToo – wo Rosler einst aufschreckte, schockt nun die Tatsache: Geschichte wiederholt sich, die Realität ist immer wieder neu brutal. Trotzdem weiterzumachen, das ist Hoffnung. Und die Kraft der Kunst.

 

 

Martha Rosler, Irrespective. Jewish Museum, New York. Bis zum 3. März 2019