Lynn Hershmann Leeson & Eli Cortiñas – Playback
/ Autocenter Berlin

25. Oktober – 8. November 2014

Autocenter, Berlin

Kuratiert von Gesine Borcherdt

Die Doppelausstellung „Playback“ im Autocenter Berlin bringt zwei Künstlerinnen aus zwei Generationen in Dialog: Eli Cortiñas (geboren 1976 in Las Palmas, Gran Canaria, lebt in Berlin) und Lynn Hershman Leeson (geboren 1941 in Cleveland, Ohio, lebt in San Fransico). Beide befassen sich in ihrer Arbeit mit den Themen Feminismus, Familie, Identität, Inszenierung, Klischees, Körperlichkeit, Privatheit, Macht, kurz: innere Zwänge und äußerer Erwartungsdruck – und beide arbeiten mit Film als Medium, an dem sich weibliches Rollenverhalten manifestiert. Lynn Hershman Leeson zählt seit den frühen 70er-Jahren zu den wichtigsten Protagonistinnen der Medienkunst. Als eine der ersten Künstlerinnen überhaupt bezieht sie den Betrachter direkt in ihre Arbeiten mit ein – zunächst in Installationen und Videos, später durch digitale Technologien. Parallel dreht sie Spielfilme mit Tilda Swinton, die um technische Innovationen kreisen; 1990-2008 entsteht der Dokumentarfilm „WAR! Women Art Revolution“ über die Historie feministischer Kunst. Hershman Leeson beginnt ihre künstlerische Arbeit Mitte der 60er-Jahre mit plastischen Wachsarbeiten, die sie mit Sound kombiniert. Sie sprechen den Betrachter über Tonbänder an, zerstören sich selbst oder irritieren durch Atemgeräusche. 1972 entsteht mit Dante Hotel eine der ersten ortsbezogenen Installationen überhaupt: Die Besucher der Ausstellung in einem Hotel in San Francisco, die nur per Zeitungsannonce angekündigt wurde, erhalten an der Rezeption die Schlüssel für das Zimmer Nr. 47 und treten so in Interaktion mit dem Werk. Im Zimmer liegen zwei Frauen im Bett, die sich erst bei genauem Hinsehen als Wachsköpfe entpuppen; daneben befinden sich Bücher, Kosmetikspiegel, Kleidung und ein Radio, aus dem die Regionalnachrichten dringen. Neun Monate bleibt die Installation erhalten, dann ruft ein Besucher die Polizei, in dem Glauben, es handele sich um ein Verbrechen. Bis heute befinden sich die Köpfe und Gegenstände als Beweisstücke auf dem Revier. Ab 1971 arbeitet Hershman Leeson an der Konzeption der künstlichen Persönlichkeit Roberta Breitmore, in deren Rolle sie bis 1978 schlüpft. Ihr Leben entspricht dem einer modernen Frau: Sie gibt Kontaktanzeigen auf, trifft sich zu Blind Dates, zählt zum Abnehmen mit WeightWatchers Punkte, sucht Hilfe beim Psychiater, macht den Führerschein und arbeitet als Sekretärin. Jede Erfahrung dokumentiert Hershman Leeson durch Fotos, Briefe und Tagebucheinträge, während mit Perücke, Kleidern oder Kreditkarte reale Materialien ihre Aktion belegen. Zeitweise lässt sie andere Robertas Rolle annehmen und prüft so, ob sie ähnliche Erfahrungen machen. 1978 wird Roberta Breitmore offiziell beerdigt. Für Hershman Leeson war Roberta „ein interaktives Werkzeug, mit dem man die Kultur analysieren konnte. Ihr Profil wurde durch Kosmetika belebt, die auf ihr Gesicht wie auf eine Leinwand aufgetragen wurde, und ihre Erfahrungen spiegelten die Werte ihrer Gesellschaft wider.“ Mit den Electronic Diaries richtet sich Hershman Leeson in einem Videotagebuch direkt an den Betrachter. Von 1986 bis 1994 spricht sie über Gewichtsprobleme, Selbstzweifel, Verdrängungsprozesse in der Familie oder einen Tumor in ihrem Gehirn, der auf rätselhafte Weise von selbst verschwindet. Ob sie nur eigene Probleme schildert oder fiktive Narrationen einbaut, bleibt bis zum Schluss offen. Hershman Leesons Spiel mit Identitäten im Rahmen von Film und Dokumentation antizipiert Strategien, wie sie später bei Cindy Sherman, Sophie Calle oder Tracey Emin Verbreitung finden. Dass Hershman Leeson selbst im Kunstbetrieb weitgehend unbekannt geblieben ist, hängt u.a. mit frühen Enttäuschungen durch Institutionen zusammen, die ihre Arbeit nicht als Kunst anerkannten und ihrer daraus folgenden Konzentration auf Spielfilm. Das ZKM Karlsruhe richtet ihr ab Dezember die weltweit erste große Retrospektive aus. Eli Cortiñas bewegt sich in ihren Filmen und Objekten in der Bildsprache des Autorenkinos der 60er- und 70er-Jahre. In Spielfilmen von Buñuel, Cassavetes, Gordard, Pasolini und Rossellini deckt sie bestimmte Motive, Themen und Einstellungen auf, die sie mittels Collage, Reduktion und Wiederholung hervorhebt. Cortiñas verweist damit auf die Historizität einer Populärkultur, in der sich Verhaltensmuster der Gesellschaft spiegeln, wie sie heute noch spürbar sind. Ihr Fokus liegt dabei auf der Definition des Weiblichen innerhalb bestimmter Konstruktionen wie Familie, Religion, Politik oder Kultur. Ihre Objekte entstehen dagegen immer direkt vor Ort im Ausstellungsraum. Sie fungieren als Requisiten oder Kondensate der surrealen, psychologisch dichten Stimmungen, die ihre Filme hervorrufen. Der titelgebende Arbeit Playback (2014) ist eine Found Footage-Videocollage aus dem Film „Cria Cuervos“ („Züchte Raben“) von Carlos Saura (1975). Der Film kreist um den Zerfall der bürgerlichen Familie im Spanien nach dem Ende der Franco-Diktatur. Im Zentrum steht ein kleines Mädchen, das glaubt, seinen Vater durch ein giftiges Pulver getötet zu haben. Geraldine Chaplin spielt mal kranke Mutter, mal Tochter, die ihre eigene Kindheit kommentiert. Aus dem eigentlich verschachtelten Film greift Cortiñas zwei fast identische Szenen heraus, in der sich Chaplin direkt an die Kamera wendet. Dieses Brechen mit der „vierten Wand“ – der Kinoleinwand – evoziert eine eigenartige Situation, da Chaplin einerseits intime, widersprüchliche Gefühle über ihre Kindheit preisgibt, andererseits eine Beichte ihres „Mordes“ vor laufender Kamera ablegt; eine weitere Irritation entsteht durch die Synchronisation ins Spanische: Die Divergenz zwischen Chaplins Lippenbewegungen und der Tonspur lassen über den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen rätseln. Cortiñas verzichtet auf weitere Verweise im Film – bis auf eine kurze Szene im Innenraum – so dass sich das Thema der Konstruktion und Dialektik von Erinnerung, aber auch die damit einhergehende Naivität, Verletzlichkeit und Sehnsucht verdichten. Die dunkle, muffige Stimmung eines abgestandenen Systems werden dabei ebenso hervorgekehrt wie das Potential des Bösen und Morbiden hinter heimischen Gardinen. Für die Videoinstallation Confessions with an Open Curtain (2011) nimmt Cortiñas Filme ins Visier, die im Plot das Genre Theater umkreisen. Intensive Farben, schwingende Bewegungen, Vorhänge und Faltenwürfe – um die Darstellung des einen Genres im anderen zu vermitteln, stellt Cortiñas ein Bildvokabular heraus, das sich an ein bestimmtes Zeitkolorit knüpft. Immer wieder taucht dabei das Motiv des weiblichen Hinterkopfes auf: Die starren Fönfrisuren der Darstellerinnen vermitteln eine skulpturale Qualität, in dem sich die dichte Atmosphäre des gesamten Films amalgamiert – fast wirkt es, als würden die Frauen mit dem Interieur verschmelzen. Tatsächlich ist hier wie in fast allen von Cortiñas’ Filmen keine Außenaufnahme zu sehen: Der Zuschauer tritt in ein Bild ein wie in ein Kabinett, das keine topographische Orientierung erlaubt und in seiner Geschlossenheit klaustrophobisch wirkt. Cortiñas schafft damit Sinnbilder innerer Zustände.