Änderung der Verfassung
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Die Künstlerin Raphaela Vogel ist die erste große Entdeckung des Jahres. In Berlin hat sie eine Welt aufgebaut, die man so noch nicht kannte.

Die Welt, 13. Februar 2016

An, aus. Das Wasser rauscht, stürzt direkt auf die Kamera. Auf dem Waschbeckenrand balanciert eine junge Frau, enge Jeans, lange schwarze Haare. Mit ihren High-Heels öffnet sie immer wieder den Hahn, donnert einem den Wasserstrahl mitten ins Gesicht und spreizt darüber die Beine. An der Wand lehnen zwei stählerne Standaschenbecher. Zusammengesteckt mit zwei Colakisten zu einer abstrakten Figur, wie ein kaputter Roboter, der einen Projektor hält. Was soll das?

Plötzlich setzt nebenan ein krasser Heavy-Metal-Sound ein. Man geht um die Ecke und landet in einer Art Rockkonzertkulisse zwischen Kabeln, Metallstangen und Plastikplanen. Auf beiden Seiten dieselbe Projektion: Diesmal steht die Frau halbnackt am Strand, ein langes Tuch umweht sie, in den Händen hält sie eine Fernsteuerung. Die Kamera rast auf sie zu, ein Angriff von schräg oben. Das Bild ist von den dreckigen Füßen der Drohne eingefasst, die aussehen wie die Krallen eines Insekts aus dem All. In der Raummitte ein hochgeschossenes graues Plastikpissoir mit vier Öffnungen, es trägt den Beamer. Der Sound verstummt. Was war das?

Um die Ecke knirscht es. Eine Metallspinne liegt am Boden, wirft vier Bilder über Fußleistenhöhe an die Wand. Darauf wieder diese Frau, die mit dem knirschenden Gestänge die Kamera umständlich im Kreis herumdreht. Hallo?

Und schließlich: die Grabkammer. An den Wänden hängen Tierhäute, bunt gefärbt, an manchen Stellen mit wild eingekratzten Farbspuren. Vorne sind sie zu Trichtern zusammengeführt, ein großer Markknochen aus Plastik hält sie wie ein Toilettensitz. In ihrer Mitte steht eine Meerjungfrau – der Körper einer Wasserpfeife, die ihre Schläuche in den Raum tentakelt.

Was ist das, wenn nicht einfach nur schräg? Die Kampfspuren einer durchgedrehten Melusine? Archaisch, albern, angsteinflößend, oder doch ziemlich kalt kalkuliert? Eines ist klar: Raphaela Vogels Ausstellung, für die sie die Berliner Galerie BQ komplett belagert und umgebaut hat, ist anders als alles, was man in letzter Zeit an Kunst gesehen hat. Es ist die erste Einzelausstellung der 1988 in Nürnberg geborenen Künstlerin in einer Galerie überhaupt.

Studiert hat Vogel an der Frankfurter Städelschule, von wo aus sie, entnervt vom dortigen Ehrgeizgerangel, nach Amsterdam floh, für ein zweijähriges Stipendium beim renommierten Postgraduiertenprogramm "de ateliers". Eigentlich soll man sich dort allein auf die Arbeit konzentrieren, und Einzelausstellungen wie Galerien bis zum Ende warten lassen. Doch bei Raphaela Vogel waren die Anfragen einfach zu gut: Letztes Jahr zeigte sie ihre erste institutionelle Solo-Show im Kunstverein Bonn und erhielt den mit 30.000 Euro dotierten "Columbus-Förderpreis für aktuelle Kunst", auf die im kommenden Sommer eine Ausstellung in der Dresdener Motorenhalle folgt. Wenn die Künstlerin nun wenige Monate vor ihrem Abschluss bei "de ateliers" noch ihr Galeriedebüt hinlegt, tut sie das mit einer Unabdingbarkeit, die wenig mit Städel-Ehrgeiz zu tun hat, sondern eher mit einem inneren Druckgefühl.

Was das genau hervorbringt, ist schwer zu bestimmen. Doch das Thema dieser Ausstellung ist sie selbst, die Künstlerin im Kampf mit der Kamera und dadurch mit der Welt. Vogel spricht von "Blickregime", das sie dem Betrachter nicht einfach so mirnichtsdirnichts überlassen will, aber es geht auch um Technik, Landschaft und das Tier, eingebettet in eine Narration, die sich alles andere als linear lesen lässt. Dass immer wieder Wasser auftaucht, wie Natursekt aus dem Wasserhahn, im Hintergrund am Strand, im übertragenden Sinne im Pissoir, in den Colakisten und der Shisha, spült eine gewisse Erotik und Mystik durch die Räume. Die Mischung aus Film, Skulptur und Performance lässt an die merkwürdigen Rituale aus Matthew Barneys "Cremaster"-Zyklus denken. Der Unterschied ist allerdings, dass man bei Vogel durch abgedimmte, plastisch inszenierte und ziemlich weiblich definierte Räume wandelt, die wie Stationen einer selbst auferlegten Prüfung wirken.

Vogel versucht, die Kontrolle zu wahren, wirkt mal dominant, mal devot, elfenhaft und doch kämpferisch. Dabei entsteht eine immense Spannung, die die Räume in einer abgründig psychologischen und zugleich technischen Weise auflädt. Die Filme erinnern entfernt an Rebecca Horns frühe Performances der Sechziger, in denen die Künstlerin den Raum mit angeschnallten Prothesen – metallische oder mit Federn besetzte Körpererweiterungen an Gesicht, Armen und Händen – abtastete. Unvergessen die Aktion, bei der sie eine Frau mit langem Aufsatz auf dem Kopf durch einen Wald schreiten ließ. Auch Vogel interagiert direkt mit der Kamera und den Skulpturen. Die wirken mit den integrierten Projektoren seltsam belebt, wie Aliens oder Roboter, allerdings nicht aus dem cleanen Post-Internet-Labor, sondern eher aus einer düsteren "Bladerunner"-Welt, in der das Brüchige, Kaputte und Verletzliche eine traumartige Stimmung evoziert.

"Ich gebe Euch eine Verfassung", hat Raphaela Vogel ihre Ausstellung genannt. Tatsächlich: Wenn man wieder nach draußen tritt an die Luft und ins Tageslicht, ist man in einer anderen Verfassung als zuvor.

© Gesine Borcherdt