Sind Museen die neuen Spielplätze? Ist eine Hängematte eine soziale Plastik? Eine Notwehr gegen die Zudringlichkeiten der Erlebniskunst
Welt am Sonntag – 30. November 2014
Okay, wir haben es kapiert. Das mit der Kunst, den Menschen, dem Spaß, dem Zusammenkommen. Dass wir alle irgendwie anders über unsere Umwelt oder unsere Realität nachdenken sollen. Und dass Kunst uns dabei helfen kann.
Als brave Kulturbürger haben wir Carsten Höllers Rentiere auf Fliegenpilztrip im Museum bestaunt und unsere Kinder durch seine Krabbelwürfel gescheucht. In Tobias Rehbergers farbig gestalteten Museumscafés schlürften wir Espresso und fläzten uns auf seinen rundbunten Sofas. Wir sind an Angela Bullochs blinkenden Lichtkuben vorbeiflaniert, hüpfend vor Jeppe Heins kinetischen Kugeln und Wasserfontänen ausgewichen und durch Tomás Saracenos riesiges Spinnennetz "In Orbit" unterm Dach des Düsseldorfer K21 gelaufen, bevor wir uns in Jorge Pardos chic designtem Museumscafé über diese außergewöhnliche Erfahrung unterhielten.
Seitdem Olafur Eliassons künstliche Sonne vor elf Jahren in der Tate Modern zwei Millionen Menschen zum Nachsinnen über Sonneneinstrahlung brachte, kommt man an dieser Form von Erlebniskunst nicht mehr vorbei. Kunst vereint die Menschen – so oder so ähnlich lautete einmal die Idee hinter dem, was der Philosoph Nicolas Bourriaud 1998 "Relational Art" nannte. Diese Kunst kam in einer konsumbegeisterten PopÄra auf und zählt seit den Nullerjahren zum Establishment. Bourriaud schrieb von "mikroutopischen Situationen", in denen Kunst zum Gegenstand "menschlicher Beziehungen" werden sollte. Die großen Erzählungen waren tot, nun war es Zeit für Small Talk.
Kunst konnte plötzlich alles sein: eine Tanzfläche, eine Bar, ein Abendessen, eine Chill-out-Lounge, ein Boutiquebesuch. Die politische Idee hinter dem, was häufig wirkte wie eine Mischung aus MTV-Kulisse und Knoff-Hoff-Show, lautete "soziale Interaktion". In Ausstellungssituationen jenseits von Markt und Museen hatte das durchaus seinen Reiz: Als Eliasson 1998 auf der ersten Berlin Biennale einen Ventilator in den bröckelnden Kuppelsaal des Postfuhramts hängte, der die Besucher abwechselnd attackierte und umgarnte, war das ein poetisches Wahrnehmungsspielzeug. Eliasson stand für eine smarte, unpathetische Generation, die auf neue Art an Beuys' Idee von der sozialen Plastik anknüpfte und den Betrachter in den Prozess der Kunst einbezog. Außerdem wirkten solche Arbeiten nach der Monumentalkunst der Achtziger erfrischend bescheiden und trotzdem effektiv.
Doch im Grunde war in der "Relational Art" schon damals der Wurm drin. Spätestens als sich Miuccia Prada mit Klaus Biesenbach in Carsten Höllers Röhren-Rutsche setzte und von einem Fenster der damals frisch renovierten Berliner Kunst-Werke in den Hinterhof hinab sauste, brannte sich die Ahnung ins Gedächtnis ein: Dieser Spielplatzwurde eigentlich für Businessladies und Superkuratoren aufgestellt.
Kurz darauf begann der Kunstmarkt- Hype. Und Luxus-Sammler wie eben Prada oder Pinault kamen auf den Geschmack dieser bunten Mitmachkunst, die ganz zu der ausgelassenen Stimmung des Marktes passte. Plötzlich hatten auch die Museen große Marketingabteilungen, aber dafür immer weniger öffentliches Geld. Was lag da näher, als eine Kunst ins Haus zu holen, bei der Worte wie Event und Kommunikation bereits im Konzept angelegt sind? Guy Debord behauptete bereits 1967, dass das Spektakel der materielle Wiederaufbau der religiösen Illusion ist. Wenn das stimmt, sind Museen des 21. Jahrhunderts die neuen Kirchen des Spätkapitalismus – und die Künstler unsere Götter, die bei einer zunehmend infantilisierten Gesellschaft für immer neue Wow-Effekte sorgen.
Olafur Eliasson ist immer noch der unangefochtene Superstar dieser Sparte, die Markt wie Museen gleichermaßen erfolgreich bedient. Sein jüngster Schöpfungsakt: 180.000 Tonnen Geröll. Der in Dänemark aufgewachsene Isländer hat sie aus seinem Geburtsland ins Louisiana Museum bei Kopenhagen verschifft und damit in drei Räumen eine kaltgraue Landschaft mit eingebautem Bach errichtet ("Riverbed", bis 4. Januar). Umgeben von strahlend weiß getünchten Wänden stapft der Besucher durch eine nordisch-karge Einöde zwischen Romantik und Endzeitszenario. Fast könnte man meinen, ein Erdrutsch habe den Ausstellungsraum überrollt. Mitarbeiter mit kleinen Schäufelchen verteilen die Steine wieder an ihre Plätze, wenn sie beim Drüberklettern der Besuchermassen ins Wasser gekullert sind oder von Kindern aufgetürmt wurden.
Es gilt das Motto: Mehr ist mehr. Mehr Schotter, mehr Aufwand, mehr Besucher.
Eliassons Installation soll einerseits wie ein "Stress-Test" auf die lichte, modernistische Architektur des Louisiana Museum wirken. Sie soll aber auch dessen Anspruch unterstreichen, "die Erwartungen des alltäglichen Lebens herauszufordern" und zugleich "eine agendafreie Zone" und "ein Ort der Begegnung" zu sein, wo wir "für einen Moment atmen können". Es reicht schließlich nicht, einfach nur ein Erlebnis zu haben, sondern es muss ja auch noch etwas gelernt werden.
Aber was genau soll das sein? Und wozu brauchen wir einen "Stress-Test" der Architektur und Atemübungen in einem Museum, das mit seiner großartigen Sammlung, offenen Bauweise und freien Lage am Meer ohnehin schon ein Höchstmaß an Begegnungs- und Meditationspotenzial aufweist? Wer einmal über Eliassons neonbeleuchtete Kunstlandschaft gestiefelt ist, atmet erst dann wieder frei, wenn er Sicht auf die schwedische Küste hat. Man fragt sich, weshalb ein Künstler mehr als 40 Jahre nach Robert Smithsons grandioser Erdspirale "Spiral Jetty" glaubt, dass man Naturerlebnisse nun wieder ins Museum hineinholen muss, um Menschen zur Achtsamkeit zu animieren. Rechtfertigt eine derartig simple Metapher solch einen monumentalen Schöpfergestus?
Eliassons jüngstes Werk ist ein Beispiel für eine Kunstrichtung, die sich völlig von ihrem ursprünglichen Anspruch entfernt hat. Im Grunde kann man nur unbeschwert durch diese künstliche Gerölllandschaft wandern, wenn man genau das ausklammert, worauf die "Relational Art" eigentlich abzielt: die Wirklichkeit sozialer Beziehungen. Stattdessen steht man hier letztlich einer Versteinerung der Verhältnisse gegenüber.
Denn es geht nicht um eine Plattform, auf der gleichberechtigt Erfahrungen ausgetauscht werden. Es geht auch nicht um eine Öffnung oder Hinterfragung der Institution Museum oder um eine Annäherung zwischen Kunst und Leben, Zivilisation und Natur. Es geht, wie bei vielen anderen inzwischen prominenten Künstlern der Relational Art, um eine Machtdemonstration – darum, dass Künstler und Institutionen in der Lage sind, hollywoodreife Inszenierungen zu bieten. Das allein wäre legitim, würde es nicht unter dem Banner von Institutionskritik, Umweltschutz und sozialem Engagement stattfinden.
Wo Eliasson seine archaische Gerölllandschaft abgebaut hat, was nach der Ausstellung mit ihr passiert oder wie umweltfreundlich der Transport war, ist nirgendwo zu lesen. Dabei wäre das gerade bei einem Künstler interessant, der sich in einer Verschränkung aus Naturwissenschaft, Minimal Art und Öko-Aktivismus auf das Erhabene in der Natur beruft und nebenbei preiswerte Solarlampen ("Little Sun") für Afrika baut, damit Kinder dort auch im Dunkeln Hausaufgaben machen können.
Im Gegensatz zu diesen humanitären Zielen befindet sich seine Installation "Riverbed" im Limbus der Sinnfreiheit. Marina Abramović beschwört in ihren jüngsten, viel diskutierten Performances Begriffe wie "das Nichts", "die erfüllte Leere" oder "die Grenzen der Selbstwahrnehmung". Auch bei Eliasson geht es laut Pressetext um die Eliminierung von Inhalten. Zitat: "Vielleicht kann uns hier die leere Landschaft Zeit und Raum zurückgeben – befreit von Information und Bedeutung."
Doch selbst wenn seine Arbeit zenmäßig von jeder Bedeutung leer gefegt ist, erfüllt sie eine Funktion. Sie sagt uns: Solange noch 180.000 Tonnen Geröll in dieses Haus gekarrt werden können, geht die Welt nicht unter. Dieser Großakt allein reicht aus, um das Museum als Hort des bestehenden Wertekanons zu bestätigen. Eliassons minimalistische Sakrallandschaft entspricht in ihrem Obskurantismus genau der Grünteeund Yoga-Philosophie einer narzisstischen Wohlstandsgesellschaft, die ihren Status quo pflegt wie einen Körper, der nicht altern darf. Und hierbei gilt das Motto "mehr ist mehr": mehr Schotter, mehr Aufwand, mehr Besucher. Anstelle neuer Formen des Zusammenseins oder "mikroutopischer Situationen" werden meditative Einkehr und Rückbesinnung auf das erschöpfte Selbst postuliert – aber ein Austausch findet nicht statt. Während ökologische und humanitäre Probleme immer unlösbarer erscheinen, speist einen diese Art von esoterischer Erlebniskunst mit Brot und Spielen ab.
Hinter dem kargen, philosophischen Auftreten von "Riverbed" steckt genialischer Protz – ein viel größerer als der, gegen den die Relational Art ursprünglich antrat. Was einmal als eine durchaus politische Bewegung in der Kunst begann, ist heute zum Spielplatz mutiert, der sich nur durch einen transzendenten Kunstanspruch von anderen Spielplätzen der Eventkultur absetzt. Von einer Kunst aber, die sich auf die Gesellschaft als Aktionsfeld beruft und von "menschlichen Beziehungen" spricht, würde man in einer Zeit voller politischer Brandherde mehr erwarten.
© Gesine Borcherdt