Es ist ja nicht so, dass man es nicht gewusst hätte. Der High-End-Kunstmarkt ist ein Börsenparkett, glatt, kalt und extrem hart. Kunstwerke sind „Investments“, sie werden „geflippt“, und als der frühere Sotheby’s-Auktionator Tobias Meyer 2007 behauptete, die beste Kunst sei die teuerste, sprach er damit nur aus, was eine von sich selbst betrunkene Szene bis heute zelebriert. Ein Dokumentarfilm des Regisseurs Nathaniel Kahn zeigt den Zynismus dieses Marktes so deutlich, dass man danach sofort eine Ayurveda-Kur machen möchte, um sich innen und außen davon zu reinigen.
Bereits der Titel bringt es auf den Punkt. „The Price of Everything“ ist ein Zitat von Oscar Wilde, der angesichts der Dekadenz seiner Epoche bemerkte: Heute kennen die Leute von allem den Preis, aber von nichts den Wert. Der Film zeigt Menschen, die belegen, wie weit es damit gekommen ist. Kahn hat prominente Akteure begleitet, die stellvertretend für die Branche stehen:
Auf der einen Seite der smarte Kunstberater Simon de Pury, der greise Sammler-Investor Stefan Edlis, die Sotheby’s-Vizepräsidentin und Haifischfrau Amy Cappellazzo und Megastar Jeff Koons. Auf der anderen Seite die unerschrockenen Kunstkritiker Jerry Saltz und Barbara Rose, der tiefstapelnde Gerhard Richter, die spät entdeckte Künstlerin Marilyn Minter – sowie der Maler Larry Poons, den der Markt vergessen hat.
Letzterer ist die Seele des Films: ein Künstler, der einfach nur seine Arbeit macht, der farbbekleckst in seinem Atelier im Staat New York Beethoven hört und die Welt da draußen nicht mehr versteht. „Heute sagt man, der beste Künstler sei der teuerste. Wie kann das wahr sein? Es gibt keine Regeln, was gut und was schlecht ist. Der Kunst ist das egal.“ Das stimmt. Und stimmt doch nicht, zumindest für alle, die Kunst als reine Ware betrachten – und denen es nicht peinlich ist, das laut zu verkünden. „Es ist für gute Kunst wichtig, teuer zu sein. Man schützt nur Dinge von finanziellem Wert“, sagt de Pury. Schützen, aber wovor?
Kunst wirkt erst dann entblößt und hilflos, wenn sie im Auktionshaus hängt wie ein Köder am Haken. Man muss nur Cappellazzo bei der Arbeit zusehen. Was sie an ihrem Job liebe? „The chase and the deal!“, strahlt sie und bereitet eine Auktion mit Bildern von Gerhard Richter vor. Schätzpreis: 100 Millionen Dollar. Das Ergebnis werde natürlich viel höher ausfallen.
Als Richter selbst vor einem seiner Werke steht, schüttelt er nur den Kopf. „Das ist der Preis für ein Haus. Das ist unfair. Das Bild sollte in ein Museum, nicht in eine Privatsammlung.“ Cappellazzo verdreht die Augen. „Ins Museum! Die meisten Werke dort erblicken nie das Tageslicht. Warum will man sein Werk auf einem Friedhof haben?“ Es sei schon eine sehr sozialdemokratische Sicht, wenn man mit reichen Sammlern nichts zu tun haben wolle.
Wirklich? Ist es nicht verständlich oder auch gesund, wenn man sich – vor allem als Künstler – von Leuten fernhält, die Kunst kaufen wie Luxusmarken? Die Journalistin Holly Peterson, die selbst auf der Park Avenue wohnt, erzählt von Wohnungen in einem Haus, in denen die gleichen Werke in der nächsten Etage auf der gleichen Wand sitzen. Wie zum Beweis deutet eine russische Sammlerin auf Bjarne Melgaards kniende Frauenfigur mit baumelnden Brüsten, die eine Glasplatte auf dem Rücken balanciert. Sie erklärt: „Dieses Stück ist gerade sehr populär. Viele meiner Freunde haben es. In der russischen Tradition ist es so: Wenn einige wenige etwas haben, will es jeder.“ Dann bricht sie vor einem Schmetterlingsbild von Damien Hirst gerührt in Tränen aus.
Es ist eine perfide Entwicklung, die die heutige Wohlstandsgesellschaft immer mehr im Griff hat. Wo keine Not ist, geht es ums Anhäufen von Dingen, die die eigene Überlegenheit betonen. „Teure Autos, Schmuck, Kleider, ein schönes Haus oder alles, was sonst noch Status, Macht und Kultiviertheit ausdrückt“, fassen die Psychologen Jean Twenge und Keith Campbell diese Tendenz im Buch „The Narcissism Epidemic“ zusammen. Sie analysieren darin die zunehmende Obsession mit dem Selbst und deren Auswirkungen auf unsere Kultur und Wirtschaft.
„The Price of Everything“, der morgen beim US-Fernsehsender HBO anläuft (in Deutschland erscheint er im März), wird in Amerika heiß debattiert. Was der Film nicht zeigt, sind die Künstler, die dem Druck des Geldes nicht standhalten. Cappellazzo & Co. marschieren über sie hinweg, reden von roten Bildern, die sich besser verkaufen als grüne, und dass man Kunst auch dann kaufen muss, wenn man sie nicht mag, sie aber ein gutes Investment ist. „Als effizienter Sammler muss man oberflächlich sein. Ein Dekorateur. Du willst, dass die Kunst zum Teppich und zu den Möbeln passt“, sagt Stefan Edlis, dessen Wohnung in Manhattan den Charme einer Tiefkühltruhe verströmt.
Er zeigt auf „Bunny“ von Koons. „1991 haben wir 945.000 Dollar dafür bezahlt.“ Heute sei die Arbeit 65 Millionen wert. Edlis lacht. „That’s the art of the deal!“ Als Jugendlicher hörte er noch Hitler reden. Seinen alten deutschen Pass zeigt er in die Kamera. Ob er Trump gewählt hat, wie viele andere Kunstsammler, fragt Regisseur Kahn ihn nicht. Muss er auch nicht. Er fragt nämlich etwas anderes. Edlis und seine Frau gaben vor drei Jahren 42 Werke im Wert von 500 Millionen Dollar ans Art Institute of Chicago, darunter – hochkarätig, wenn auch wenig einfallsreich – Cy Twombly, Jasper Johns und Andy Warhol.