Stille und Leere prägen seine Bilder. Und doch trifft der Belgier Raoul De Keyser dort den Nagel auf den
Kopf, wo sich andere vor lauter Bildüberflutung die Sicht versperren. Die Galerie Barbara Weiss zeigt neue Bilder
taz. die tageszeitung – 14. August 2012
Es ist schon seltsam. Ausgerechnet die Bilder eines alten Mannes, der seine Heimat in dem belgischen Städtchen Deinze nie verlassen hat, der Wäscheleinen, Gartenschläuche und Fenstergriffe malt und den Knauf eines Krückstocks, wirken so aktuell, als hätte hier ein junger Künstler endlich die Malerei von all dem Ballast befreit, der ihr seit 100 Jahren aufgebürdet wird. Keine Fragen mehr zu Abstraktion und Figuration, Appropriation und Autorschaft, Pop, Pathos oder Politik. Dabei malt Raoul De Keyser schon seit fast 50 Jahren so.
Dass man viel zu selten an ihn denkt, mag daran liegen, dass der 1930 geborene belgische Maler eher ein Künstler-Künstler ist als ein Mann fürs große Publikum. Das Vertraute wird bei ihm nicht einfach nur fremd. De Keysers Blick sucht sich Alltägliches, das im Bildausschnitt so schnell abkühlt wie eine Tasse Tee, die in der Kanne länger heiß bleibt. Es ist diese distanziert-verschmitzte Haltung, die De Keyser, Jahrgang 1930, zu einem der erstaunlichsten Maler unserer Zeit macht. Gewürdigt haben ihn in den letzten Jahren etwa das Kunstmuseum Bonn und die Londoner Whitechapel ArtGallery. Nun zeigt die Galerie Barbara Weiss neue Bilder.
Metaphern von Welt
Dass sich der Maler hier auf Buchseitenformate beschränkt, liegt nicht nur am Alter, das kein Umherschieben großer Leinwände mehr erlaubt. Sondern die Formate kommen den Grenzen entgegen, die er sich im Alltag selbst setzt.
Was ihn zu Hause umgibt, wird signethaft apostrophiert und in monochrome Bildräume übertragen. Der Hang zum Surrealen, ob leise verrückt oder unterschwellig drohend, ist vielen belgischen Künstlern eigen, von René Magritte über Panamarenko bis hin zu Luc Tuymans. De Keyzer überträgt ihn in eine genrehafte Sensibilität, bei der sich das private Umfeld in eine ebenso sinnliche wie bescheidene Metapher von Welt verwandelt.
Gedämpft von Gipsfarbe, schweben die Motive in einer weichen Atmosphäre wie in einem fahlen, feuchtwarmen Himmel. Und obwohl die Titel keine Inhalte festlegen, versetzen Worte wie „Hurt“ vor einem roten Fleck auf grauem, mit runder Geste durchzogenem Grund, oder „Freak“ vor einer kleinen, scheinbar fliegenden, undefinierbaren Form die Bilder in eine beschwingte Stimmung, die nie ganz frei ist von Melancholie. Ein bisschen erinnert das an den amerikanischen Einsiedler Forrest Bess (1911–1977), dessen intime, halb abstrakte Formenwelt dem Betrachter ähnlich verschlüsselt bleibt.
Und so zieht sich durch die eigentlich sehr helle Ausstellung ein sanft gebrochener, in der Farbpalette patinierter Grundton – was damit zu tun hat, dass es bei De Keyser stets auch um Erinnerung geht. Aber nicht im Sinne von Sentimentalität oder gar einer systematischen Wiederaneignung. Sondern es ist der Rückgriff auf einen eigenen Kosmos, der ihm jedes Mal bekannte, aber trotzdem immer wieder neue Bilder erlaubt.
Wer De Keysers Werk schon länger verfolgt, kann sich darein vertiefen wie in ein menschenleeres Familienalbum voller Türen, Ufer, Baumstämme. Und wer weiß, dass der Maler zwei grüne Papageien und einen Kanarienvogel besitzt, erkennt in dem handlichen Triptychon „Green, Green, Green“ nicht nur ein abstraktes Wandobjekt – ähnlich wie bei der bräunlich geschwungenen Form „Latch“, die aussieht wie eine Fläche-Grund-Studie, aber eigentlich wieder mal eine Türklinke ist.
Was also erst gegenstandslos erscheint, gibt am Ende immer tatsächlich etwas wieder. Und das wirkt ebenso konkret wie rätselhaft. De Keysers Bilder sind von einer eigentümlich belebten Leere, wie sie ein vor sich hin dösender Sportplatz oder ein geöffnetes Fenster verströmen – passend zu seiner früheren Karriere als Sportreporter oder eben als Künstler, der durchaus ein klassisches Verhältnis zum Malereibegriff pflegt.
Der Mensch taucht dabei nur insofern auf, als die Motive auf ihn verweisen – ein Reduktionsverfahren, das mehr zulässt, als es beschränkt.
Und weil diese fragmentierte Sicht nichts eindeutig wiedergibt und die Bildfläche kein klares Gefüge vorschreibt, bleibt alles im Vagen. Die Balance ist nur geborgt. Was man sieht, driftet auseinander. Die Welt, so rührend überschaubar sie daherkommt, ist immer aus den Fugen. De Keyser greift nach ihr mit einem stillen, schmunzelnden Staunen über die Seltsamkeitdes Seins.
© Gesine Borcherdt