Koksmaschine für die Vitrine. Yarisal & Kublitz bei Gerhardsen Gerner
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Die Welt – 27. Oktober 2012

Vielleicht hatte Siegmund Freud ja doch recht. Zufälle gibt es nicht – alles, was uns in die Hände fällt, ist Niederschlag unserer Wünsche. Doch wieso sollte sich ein junges Künstlerpaar aus Berlin den Tod der Emmanuelle-Darstellerin Sylvia Kristel herbeisehnen? Sie starb drei Wochen, nachdem Ronnie Yarisal und Katja Kublitz die Schallplatte zum Film in einem Vintage-Musikladen gefunden hatten. Geboren sind die beiden 1981 und 1978 – also gerade noch im Fahrwasser des Kult-Erotikstreifens, der die moderne Frau als Lustgöttin unter Palmen inszenierte. "Fertility Doll (records)" – Fruchtbarkeitspuppe – heißt die Arbeit, die daraus entstanden ist: Ein aufs Eck gedrehter, modernistisch anmutender Messingrahmen, in den das Duo drei Schallplattencover aus der Kuschelrock-Ära eingefügt hat: Chris Isaak, Roberta Flack ("Feel like makin' love") und eben "Emmanuelle 4". Abgesehen davon, dass ein weichgezeichneter Softcore-Movie im Zeitalter von Youporn ungefähr so angesagt ist wie Vinylplatten und Fönfrisuren – der Bogen, den Yarisal & Kublitz mit ihrer Ausstellung "Objects of Desire" in der Berliner Galerie Gerhardsen Gerner zum Voodoo-Zauber und Fetischkult schlagen, rückt den frühen Tod der niederländischen Schauspielerin in ein etwas unheimliches Licht.

Dabei würden die acht zierlichen Objekte, die sich in der Schau brav auf Sockeln erheben wie in einem Museumskabinett, spielend in jedes Wohnzimmer passen. Ihr gelblich schimmerndes Metall ist sorgsam in geometrische Formen gegossen. Ähnlich wie den kubistischen Ableitungen primitiver Skulptur wohnt ihnen etwas seltsam Biederes, Fünfzigerjahrehaftes inne. Erst auf den zweiten Blick wird klar, dass "Charlie & George" kein präkolumbisch angehauchtes Deko-Objekt ist, sondern eine Kokainmaschine: Fünf fein säuberlich gerollte Dollarnoten sitzen nebeneinander in einem Riegel, den man über die Oberfläche schieben kann. Nietzsches Gedanke vom letzten Menschen kommt einem in den Sinn, und Luis Bunuel, der in seinem letzten Film "Dieses obskure Objekt der Begierde" eine ironische Parabel auf den desolaten Zustand der Bourgeoisie ablieferte. Das war 1977, drei Jahre, nachdem "Emmanuelle" zum Kassenhit wurde.

Bei Yarisal & Kublitz, die auf der letzten Londoner Frieze Art Fair ebenfalls zum Bestseller ihrer Galerie avancierten, fühlt sich das alles eigenartig leicht an, dezent, unverkrampft und auch ein bisschen komisch: Die urtümlichen Sehnsüchte des Menschen, seien sie sexueller, spiritueller oder materieller Natur, sehen mit ihrem Nimbus aus Dollarnoten und Plattencovern heute eben etwas banaler aus. Und trotzdem machen Yarisal & Kublitz keine Pop-Art. Es geht nicht um Schock und Schmuddelwitze. Ihr Surrealismus kommt mit spielerischem Esprit eher im Geiste eines Man Ray daher.

Entsprechend elegant sitzen auch die beiden sanftblau schimmernden Jadekugeln in handgeformten Kastanienhälften aus Ton. Eingefasst in eine Art Highend-Eierbecher aus drei Messingringen, der mittlere davon leer, lässt sich diese "Fertility Doll (Jade)" auch als Schmuck für andere Körperteile lesen. Und wenn im nächsten Objekt eine Reihe filigraner Gabelbeine vom Huhn von zwei kunstvoll gefertigten Schlagringen gehalten werden, wird daraus nicht nur eine Anspielung auf das uralte "Wishbone"-Ritual – Glück hat, wer beim Hakeln mit dem Hühnerknochen das größere Stück in der Hand behält. Sondern auch hier greift das Spiel mit archetypischen Formen und elaboriertem Kunsthandwerk, Obsession und Aggression, Alltäglichem und Aberglauben. Domestiziert im Kaminsimsformat, sind die Objekte von einem schelmischen, Fischli-Weiss-artigen Witz. Das Berliner Duo zieht den menschlichen Abgründen den Stachel – um ihn dann dort wieder einzusetzen, wo man nicht damit rechnet.

Nun ist zwar Humor spätestens seit Marcel Duchamps zur "Fountain" deklariertem Urinal von 1917 nichts Neues, um neben der Frage nach der Künstlerhand die Brücke zum Unterbewusstsein zu schlagen. Das Bemerkenswerte an den Skulpturen von Yarisal & Kublitz ist aber, dass sie darüber meist trotzdem nicht den Charme verlieren, wie es heute bei den Arbeiten vieler Pop-Adepten der Fall ist. Schlagringe und Dollarnoten springen einen besonders gerne auf Kunstmessen im Nahen Osten an, und Flohmarkt-Fundstücke wie Plattencover gehören längst zum Repertoire der westlichen Copy-und-Paste-Generation. Simple Symbolik und smarte Appropriation mit Griff in die Witzkiste sind heute oft eine Eintrittskarte für den Kunstmarkt.

Doch Yarisal & Kublitz entgehen der Trash-Falle, indem sie ihre Ready-Mades einfügen in hochwertige, handgearbeitete Kleinode, deren harmonischen Grundformen etwas Klassisches anhaftet. Das Klischee "Objekte der Begierde", das im Titel der Schau mitschwingt, erhält durch diese Manufakturebene ein retardierendes Moment. Wo das nicht greift, rutscht ein Werk dann aber auch schnell in die Plattitüde ab – das steinerne Wandrelief "There are No Saints, Only Lack of Imagination" mit einem Reigen aus Apfelgriebschen hätte es gar nicht gebraucht.

© Gesine Borcherdt