Auflagenwerke sind die billigste Möglichkeit, große Namen zu sammeln. Sie sind aber auch ein schönes Testgelände für künstlerische Experimente. Ein Blick auf den Markt
Welt am Sonntag – 22. Dezember 2013
Kunst ist schön, aber auch teuer. Bedeutende Werke von großen Namen können sich deshalb nur die wenigsten Menschen leisten. Selbst junge Kunst kann schnell ein doppeltes Durchschnittsmonatsgehalt kosten. Was also tun? Auf Keith-Haring-Tassen aus dem Museumsshop ausweichen? Es geht auch anders. Bereits 1968 fand im Kölner Wallraf Richartz-Museum die erste Ausstellung "ars multiplicata – vervielfältigte Kunst nach 1945" statt. Die Idee: Kunst für alle, jenseits des Elfenbeinturms. Seitdem gelten Editionen als günstige, wohnzimmertaugliche Ware. Dabei hatte der Begriff gar nicht unbedingt mit guter Stube zu tun. Was man heute oft mit Druckgrafik, Holzschnitt und Lithografie gleichsetzt, meinte damals vor allem industriell hergestellte Objekte – und die waren äußerst gewöhnungsbedürftig. So schrieb Willi Bongard in der "Zeit" über die mit Müll gefüllten Plexiglaskästen von Arman, die damals in Köln zu sehen waren: "Es handelt sich bei diesem Papierkorb offensichtlich (?) nicht um eine Skulptur; denn wann hätte es jemals Skulpturen mit einhundert autorisierten Abgüssen gegeben?" Doch das unschlagbare Pro war der Preis: Der Arman kostete nur 320 DM, für ein Unikat musste man zwischen 1000 und 5000 Dollar hinblättern.
Mit dem Multiple-Prinzip war René Block damals bereits drei Jahre lang im Geschäft. "Editionen entstanden als demokratische Bewegung gegen die Aura des Unikats. Jeder Arbeiter sollte sich Kunst leisten können", sagt der Ex- Galerist und Kurator, der mit seiner "Edition Block" heute in Berlin -Schöneberg sitzt. Vor allem Joseph Beuys produzierte Multiples wie am Fließband – etwa 1969 den berühmten "Schlitten" in einer Auflage von 50. Was damals 300 DM kostete, ist heute ein Vielfaches wert. Inzwischen hat Block 82 Editionen produziert, darunter ein Video von Nam June Paik, eine Zeichnungsserie von Sigmar Polke, ein Regal mit Duschgel-Flaschen von Ayse Erkmen und zuletzt dreimal sechs Hubwagen von Alicja Kwade, was beinahe an der Stückzahl einer Originalskulptur grenzt. Je älter und rarer ein Werk wird, desto mehr steigt es im Wert. Trotz Demokratieanspruch kennen die "Edition Block" nur Insider. Und kaum einer weiß, dass hier noch Schätze zu heben sind. Zum Beispiel der "Mozart Mix" (1991) von John Cage: die erste Klanginstallation überhaupt, die 1991 als numerische Auflage publiziert wurde; die 36 Stück à 8000 Euro sind erstaunlicherweise noch nicht ausverkauft.
Auch die Edition Schellmann in München bietet Serienproduktionen an, die sich eher wie Sonderprojekte lesen. Vor allem mit den Wandarbeiten wurde hier seit 1969 Kunstgeschichte geschrieben: Raumgestaltungen von Künstlern, meist versehen mit einem Objekt. Gerade hat der Verein der Freunde der Nationalgalerie in Berlin das gesamte Wandarbeiten-Programm des Galeristen angekauft. Rund 20 Werke daraus sind derzeit im Hamburger Bahnhof zu sehen,darunter Donald Judd, Günther Förg oder Rosemarie Trockel. Produziert wurden sie meist in einer Auflage zwischen 10 und 20, oft jeweils in verschiedenen Farben.
"Es geht uns um eine kuratorische Ausrichtung", so Jörg Schellmann. "Wir überlegen, was für einen Künstler neu und interessant sein könnte. Dann helfen wir bei der Umsetzung, schließlich kennen wir inzwischen viele Kleinbetriebe, die auch ungewöhnliche Konzepte realisieren. Das ist der Reiz bei der Sache." Zu 50 Prozent verkauft Schellmann auch Druckgrafik, kleinere Objekte und Fotografien. Viele davon wurden eigens für Biennalen oder die documenta produziert; so kommt er auf eine Preisspanne von 500 Euro bis 100.000 Euro. Einen Ausstellungsraum hat er nicht, der Verkauf läuft über Berater oder Galerien. Viele Werke finden sich später auch im Internet wieder.
"Auf den persönlichen Kundenkontakt möchte ich nicht verzichten", betont dagegen Alfons Klosterfelde aus Berlin, der in seiner Editionsgalerie auf der Potsdamer Straße gerade ein kompliziertes Drachenobjekt von Rirkrit Tiravanija ausstellt, Auflage von fünf für 12.000 Euro. Gegründet von seiner Mutter unter "Helga Maria Klosterfelde" 1990 in Hamburg , war der Laden ursprünglich zur finanziellen Unterstützung der neuen Deichtorhallen gedacht. Seit 2008 ist der Sitz Berlin, wo Klosterfelde jedes Jahr bis zu 15 Multiple-Produktionen betreut.
"Unsere Editionen übersteigen selten den Preis von 50.000 Euro. Manche kosten aber auch nur 100 Euro. Das ist ein Grund, weshalb viele Galerien lieber mit Unikaten arbeiten", sagt Klosterfelde. Doch er kann nicht klagen: Wo die Edition eines Superstars so viel kostet wie anderswo das Original eines noch unbekannten Künstlers, ist vielen Kunden die Aura egal.
Bei all dem ist das Thema Druckgrafik noch lange nicht out, im Gegenteil: Niels Borch Jensen aus Kopenhagen und Berlin stellt sie sogar in der eigenen Werkstatt her, die zu den renommiertesten weltweit zählt. Olafur Eliasson, Thomas Demand und Tacita Dean, die sonst eher für Großinstallationen bekannt sind, produzieren hier Einsteigerstücke wie Offset-Prints und Lithografien.
Im klassischen Bereich bewegt sich auch die Galerie Sabine Knust aus München. "Inzwischen gibt es weniger Vorbehalte gegen Siebdrucke oder Holzschnitte", sagt Galeriepartner Matthias Kunz. "Früher bevorzugten die Kunden das Unikat, aber inzwischen kennen sich viele im Gesamtwerk so gut aus, dass sie gerade die Multiples von Georg Baselitz oder John Baldessari zu schätzen wissen." Zumal die Auflagen hier von Einzeldrucken bis zu maximal 60 Stück reichen. Auch die Preise sind zwischen 700 und 6000 Euro moderat. So kann man testen, ob die Edition eine Kostprobe bleibt oder als Einstiegsarbeit für Höherpreisiges dient. "Viele Künstler probieren bei uns etwas aus, was sie vorher noch nie gemacht haben", so Kunz, bei dem Mark Grotjahn kürzlich erstmals eine Serie von Siebdruck-Monotypien entwickelt hat.
Weniger persönlich läuft es bei den Kunstmagazinen und Online-Plattformen ab. Publikationen wie "Texte zur Kunst", "Parkett" und "Monopol" bieten exklusiv hergestellte Multiples an, oft in Kombination mit Textbeiträgen im Blatt. Wo "Texte zur Kunst" auch mit Namen wie Dan Graham und Cerith Wyn Evans meist stringent an der 245-Euro-Grenze bleibt – was den hohen Auflagen von 100 und mehr zu verdanken ist – variieren die Preise bei "Monopol" und "Parkett" je nach Name, Auflage und Technik. So erhält man bei "Parkett" Pawel Althamers Koffer mit Blechfiguren für 3600 Euro, während bei "Monopol" noch der Drahtbügel von Jonathan Monk im Gedächtnis ist: Das handgerundete, zumindest eine Zeit lang unlimitierte Objekt, an dem kein Kleidungsstück hängen bleibt, war für 30 Euro ein Bestseller. Entwicklung und Produktion – also das, was die Editionsverleger gerade reizt – bleiben hier meist den Künstlern überlassen. Ebenso in den Kunstvereinen: Künstler geben Editionen ab, deren Verkauf der Förderung des Hauses dient. Viele verschwinden bald in der Schublade. Wer kümmert sich im Sparflammenbetrieb schon um den Verkauf?
"Da bleiben viele Schätze übrig, von denen keiner mehr weiß!", freut sich Katharina Bauckhage von artflash. Ihre Online Plattform, gegründet 2012, sammelt solche Fundstücke ein und bietet alle 14 Tage zwei Serien in einem "Flash Sale" an, bei dem man Restposten von Daniel Richter bis Joseph Beuys ergattern kann. Als Vorbild nennt Bauckhage die Hamburger Griffelkunst. Seit 1925 wählen dort die 4300 Mitglieder zweimal jährlich aus vier signierten Druckgrafiken aus, die anhand dieser Nachfrage produziert werden. Der feine Unterschied: Die Mitglieder verpflichten sich, ihre Errungenschaften nicht zu verkaufen. Und so bleiben Dieter Roth und Jonathan Meese eben da, wo sie laut Editionsgesetz hingehören: zu Hause im Wohnzimmer.
© Gesine Borcherdt